Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
muss sofort mit Erasmus sprechen!«
    Ein Piepen kam von dem Gerät am Gürtel, und Florence beobachtete, wie direkt vor den gelben Augen des Wächters halb durchsichtige Bilder mit Daten erschienen.
    »Ihre Prioritätsstufe ist nicht ausreichend, Legat Benedict. Und ihre Begleiterin kann nicht identifiziert werden.«
    Benedict holte tief Luft, ließ Florences Hand los und stemmte beide Fäuste an die Hüften. »Wie können Sie es wagen, mich aufzuhalten! Ich bringe eine überaus wichtige Nachricht für Protektor, wie aus der Mitteilung hervorgeht. Lassen Sie mich passieren!«
    Er machte einen Schritt zur Tür, aber der Wächter versperrte ihm sofort den Weg und hielt plötzlich eine seiner Waffen in der knorrigen Hand. »Unbefugter Zutritt wird nicht gestattet.«
    Benedict starrte wie fassungslos auf das silberweiße Objekt in der Hand des Wächters, das entfernt einem Revolver ähnelte, hob dann den Blick zum Gesicht des untersetzten Mannes und schluckte einige scharfe Worte hinunter. »Ich bringe eine sehr wichtige Nachricht«, betonte er. »Richten Sie Erasmus aus, dass ich weiß, wo sich Prisma befindet!«
    Der Wächter neigte den breiten, knochigen Kopf ein wenig zur Seite, und wieder erschienen Datenfenster vor seinen gelben Augen. Er nickte kurz, knurrte: »Warten Sie«, und verschwand durch die Tür.
    Benedict begann mit einer unruhigen Wanderung durch die Nische – vier Schritte zur einen Seite, Kehrtwendung, vier Schritte zur anderen – und murmelte dabei etwas. Der Versuch, den Sinn der leisen Worte zu erfassen, konfrontierte Florence mit einer Frage: Wieso verstand sie die Sprache dieser Menschen? Wenn dies, Lassonde, die Sphäre des Realen war, die Wirklichkeit, die unabhängig von allem Denken und Fühlen existierte, wieso verstand sie, Florence, dann die Sprache der hiesigen Menschen? Die Frage führte sie zurück zum Prinzip der Konzeptualisierung. Wenn Traveller und ihre Begleiter in die Geisteswelt eines Patienten eintauchten, in seinen Space, so spielte Symbolik eine viel größere Rolle als individuelle Sprache. Lilys Programme und vor allem das von Tetranol stimulierte und erweiterte Bewusstsein übersetzte Denk-Symbole in ein Äquivalent von Sprache, was dazu führte, dass Traveller und Therapeut mit den Personen sprechen konnten, denen sie im Space begegneten. Das war auch in der Stadt im Meer geschehen, erinnerte sich Florence, im überfluteten Tokio, wo eine Mutter ihren kleinen Sohn gefragt hatte: Was machst du denn da? Was soll das, Ichiro? Warum streckst du die Zunge heraus? Florence erinnerte sich auch daran, was der Junge geantwortet hatte: Weil der Mann dumm ist. Und die Frau ebenso. Weil sie nicht auf die Warnung gehört haben.
    Die Warnung, dachte sie und blickte sich um, sah die vielen Menschen und hörte das Rauschen aus zahllosen gedämpften Stimmen. Die Warnung … Und wenn dies alles eine einzige große Falle war? Sie stellte sich Netze innerhalb von Netzen vor. Wenn man glaubte, sich aus einem befreit zu haben, verfing man sich im nächsten, und so ging es weiter und immer weiter, von einer Illusion der Freiheit zur anderen, und immer gab es letztendlich Enttäuschung.
    Von plötzlichem Schwindel erfasst taumelte Florence und stützte sich an der Wand ab. Benedict unterbrach seine Wanderung. »Was ist mit ihnen?«
    Sie winkte ab. »Nichts weiter, schon gut.«
    Die Tür öffnete sich, und der Wächter kehrte zurück. Er deutete eine Verbeugung an. »Erasmus ist bereit, Sie zu empfangen.«
    »Na bitte.« Benedict war schon halb durch die Tür, als ihm Florence einfiel. »Bitte warten Sie hier. Es dauert bestimmt nicht lange.«
    Die Tür schloss sich hinter ihm, und der Wächter bezog davor Aufstellung, stand so reglos wie eine Statue und verschmolz mit den Schatten. Florence lehnte noch immer an der Wand, dachte an Fallen und Netze und bekam immer mehr das Gefühl, in ihrem eigenen Kopf gefangen zu sein, ein Opfer unwillkommener Gedanken und außer Kontrolle geratender Gefühle.
    Weitere Minuten verstrichen, während sie versuchte, an etwas anderes zu denken und sich wieder in den Griff zu bekommen. Eine Zeit lang fragte sie sich, ob sie die Auswirkungen einer Tetranol-Krise zu spüren bekam, aber das führte sie sofort zurück zu den Gedanken über Wirklichkeit und Fiktion, die sich wie Würmer durch ihr Gehirn bohrten. Um ihnen zu entkommen, verließ Florence die Nische und schritt über die Galerie, zuerst nur mit der Absicht, die Lassonder zu beobachten, die Sprecher auf den

Weitere Kostenlose Bücher