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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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folgte. Allem Anschein nach handelte es sich um Hologramme, was ihr einen weiteren Hinweis darauf gab, dass Lassonde Primitives – wie die gewaltigen Dampfmaschinen von Unterstadt und die gesellschaftlichen Strukturen – mit Modernem vereinte.
    Benedict geleitete sie durch eine Galerie, die unter den ersten Logen und Balkonen an den Innenwänden des Symposiums entlangreichte, vorbei an Hunderten von Besuchern, die sich an der Brüstung drängten und offenbar die geflüsterten Debatten verfolgten. Florence beobachtete, wie eine sehr schlanke und in ein korallenrotes Gewand gekleidete Frau ein kleines Gerät an ihr Ohr steckte und dann den Blick nach oben richtete, auf eine der holografischen Anzeigen. Vielleicht eine Hörhilfe, dachte Florence, und aus einem Reflex heraus tastete sie nach ihrem Ohr, wo sie während der Reisen mit Zach immer das Interface-Äquivalent getragen hatte. Dieses autosuggestive Gerät symbolisierte ihre im Realen tatsächlich existierende Verbindung mit Lily und ermöglichte es ihr, bewusst Daten zu übermitteln. Jetzt fehlte ihr das Interface; es gab – sah man von ihren Gedanken als Produkt des im Realen existierenden Gehirns ab – keine Verbindung mehr zu der Welt, aus der sie kam.
    Wenn Benedict recht hatte, wenn Lassonde die einzige »echte« Realität war, konnte ihr Interface-Äquivalent als fiktives Objekt an diesem Ort auch gar nicht existieren. Aber sie selbst ebenso wenig, sofern man die strengen Regeln der Logik zugrunde legte. Florence dachte darüber nach, verstrickt in ein von den eigenen Überlegungen gesponnenes Netz, während sie Benedict durch die Galerie folgte. Sein Chamäleon-Anzug schimmerte an den Stellen, die noch funktionierten; er war voller Schmutz, aber die anderen Lassonder machten sofort Platz, wenn sie ihn sahen, und grüßten respektvoll. Die Legaten, die lassondischen Traveller, schienen hohes Ansehen zu genießen, auch wenn sie schmutzig waren und struppiges, zerzaustes Haar hatten, und auch noch ein irres Funkeln in den Augen.
    Der kleine Mann zog Florence noch immer mit sich, und sie dachte: Wenn sie wirklich eine sogenannte Realweltlerin war, wenn sie von einer Saatwelt stammte, die Salomos Weltenbauer erschaffen hatten, damit der Seelenfänger neue Legaten bekam, neue Traveller, die er für seine Zwecke nutzen konnte, um die Kontrolle über das ganze Netz der Welten zu erringen, über alle »Mundi« … Wie konnte sie dann hier sein und mehr Substanz haben als ein flüchtiger Gedanke? Wie konnte sie von Benedict durch diese Galerie geschleppt werden, vorbei an all diesen sonderbaren Menschen? Wie konnte sie als Teil einer gespaceten Welt in der einzigen wahren Realität existieren, in der Anima Mundi, von der alles ausgegangen war?
    »Macht Platz, macht Platz!«, rief Benedict immer wieder, obwohl die Leute bereitwillig beiseitewichen. Er sorgte für solche Unruhe, dass einige der Sprecher und Versammlungsteilnehmer in den Logen und auf den Balkonen weiter oben aufmerksam wurden und nach unten sahen. Der Lichtfinger eines Scheinwerfers strich über die Galerie, fand Benedict und verharrte kurz auf ihm. Er winkte mit der freien Hand und genoss seinen Auftritt ganz offensichtlich.
    Links öffnete sich ein Durchgang, der auf die Plattform führte, und zu einer Brücke, die sie mit dem fünften Turm und der violetten Spirale des Wahrheitszentrums verband. Florence zögerte, als der Wunsch zurückkehrte, eins der von Benedict erwähnten Orakel zu besuchen. Sie hatte eine bestimmte Vermutung …
    Der kleine Mann mit dem großen Kopf unterbrach Florences Überlegungen. »Wir sind gleich da!«, rief er. »Kommen Sie, kommen Sie!«
    Er zog Florence an dem Durchgang vorbei, durch den das Tuten eines Luftschiffs drang, und eine Treppe hoch, die zur Galerie der nächsten Etage führte. Dort war es dunkler, und als sie sich einer Nische mit einer Tür näherten, trat ihnen aus den Schatten eine Gestalt entgegen: ein Mann, noch kleiner als Benedict, breit und muskulös, mit gelben Augen, Knochenwülsten und schorfiger Haut. Leder knarrte, als sich die Gestalt bewegte, und an ihrem Gürtel rasselten zahlreiche Gegenstände aus Metall, von denen einige wie Waffen aussahen.
    Der gedrungene Mann, wahrscheinlich ein Soldat oder Wächter, deutete eine Verbeugung an und sagte: »Sie wünschen?«
    Benedict reichte ihm einen kleinen, silbernen Stab, und der Mann – der Wächter – steckte ihn in ein Gerät an seinem Gürtel. »Ich bin dem Protektorbüro angekündigt und

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