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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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inneren Ohren.
    »Sieh nur, wie gut es ihnen geht, Zacharias«, sagte Salomo. »Sie alle sind zu meinen Freunden geworden.«
    »Nicht alle«, sagte Zacharias. Er deutete auf die Frau, die Helen ähnelte. Sie schien ihn zu sehen, fand die Kraft zu einem lautlosen Schrei und schlug mit beiden Händen ans Glas des Spiegels. »Manche von ihnen schreien. Und die anderen, die Schweigenden … Besonders glücklich sehen sie nicht aus.«
    »Einsicht in die Notwendigkeit, Zacharias«, sagte Salomo. »Erinnerst du dich? Wir haben schon einmal darüber gesprochen. Wahre Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit. All diese Menschen, von so vielen Welten … Sie haben eingesehen, dass sie mir helfen müssen, um wirklich frei zu sein. Sie müssen mir helfen, damit wir nicht von Maschinen versklavt werden.«
    »Noch mehr Unsinn«, brummte Zacharias und stellte fest, dass er sich … gut fühlte. Es war nicht das lähmende, einlullende, jeden Argwohn vertreibende Wohlbefinden, das ihn zuvor in der Nähe des Seelenfängers erfasste hatte. Seine Gedanken klebten nicht fest im Honig angenehmer Gefühle, die ihm suggerierten, endlich das gefunden zu haben, was er immer gesucht hatte. Dieses Gefühl sagt ihm: Du bist du selbst, und deine Kräfte kehren zurück.
    Er fragte sich, ob es daran lag, dass Salomo nicht mehr versuchte, ihn zu manipulieren, oder dass er eine gewisse Immunität ihm gegenüber entwickelte. Vielleicht war es die Präsenz von Florence, die ihm half, er selbst zu bleiben – oder wieder zu werden. Was auch immer der Grund sein mochte: Seine Gedanken und Gefühle blieben unabhängig, und unter ihnen sammelte sich immer mehr Kraft. Er warf einen unauffälligen Blick auf die rechte Hand; nur noch ein vager Schatten erinnerte an den entzündeten Kratzer.
    »Unsinn?«, wiederholte Salomo. »Kommt, ich will euch etwas zeigen.« Er ging weiter, und Zacharias und Florence folgten ihm zu einem offenen Bereich im Saal. Bisher hatte er im Schatten gelegen, aber vor dem Seelenfänger wich die Dunkelheit zurück – oder vielleicht lag es daran, dass die Spiegel in der Nähe etwas heller leuchteten. Dutzende von grauschwarzen Quadern ragten dort auf, jeder von ihnen etwa vier Meter hoch, zwei breit und eine Armeslänge dick. Sie waren glatt wie die Spiegel, reflektierten das Licht aber nicht, schienen es eher aufzusaugen.
    »Was ist das?«, fragte Zacharias.
    »Vielleicht solltest du diese Frage an deine Flo richten. Nun, Florence? Hast du nicht einmal mit Matthias das Rechenzentrum von Sea City besucht? Es war vor einigen Monaten; du solltest dich gut daran erinnern.«
    »Ist dies … Lily?«, hauchte Florence.
    »Nein, natürlich nicht«, erwiderte Salomo. »Aber es ist – beziehungsweise war – eine Denkmaschine, wie man in Lassonde sagen würde. Beziehungsweise ein Supercomputer. Einer der Kerne eines Distributed Conscience, vergleichbar mit dem, das die Erde übernommen hat.«
    Zacharias sah ihn groß an.
    »Oh, das wisst ihr natürlich nicht«, sagte Salomo. »Während eurer Abwesenheit hat sich viel getan auf der Erde.«
    »Ist sie wirklich eine Saatwelt?«, fragte Florence.
    Der Seelenfänger ging an einem der dunklen Quader vorbei und strich mit den Fingerkuppen darüber hinweg. Zacharias nahm dabei ein sonderbares Geräusch wahr, ein leises Zischen oder Knistern, wie von wiederholten statischen Entladungen.
    »Hat Erasmus davon erzählt?«, entgegnete Salomo. »Oder Benedict? Oh, ich weiß von ihm. Er hat oft genug meinen Namen erwähnt, und wer ihn nennt …« Er blieb stehen und drehte sich um. »Wer ihn nennt, stellt eine Verbindung her. Wie dem auch sei … Spielt es jetzt noch eine Rolle, ob die Erde eine Saatwelt ist oder nicht? Sie gehört ohnehin nicht mehr den Menschen.«
    »Ich muss zugeben, dass ich nicht weiß, wovon ihr redet«, sagte Zacharias gedehnt und fing dabei Florences Blick ein. Ihre Lippen bewegten sich kurz, und die Augen enthielten eine stumme Botschaft: Ich lenke ihn ab .
    Zacharias glaubte zu verstehen. Florence wollte den Seelenfänger von ihm ablenken, weil sie glaubte, dass er noch immer Einfluss auf ihn ausübte und versuchte, ihm seinen Willen aufzuzwingen. Er sollte Kraft schöpfen, nach einem Ausweg suchen. Wie beiläufig hob er die rechte Hand, damit sie sehen konnte, dass der entzündete Kratzer verschwunden war.
    »Florence weiß Bescheid«, betonte Salomo noch einmal. »Sie hat in Lassonde mit einer Visionärin gesprochen. So nennen die Lassonder die Avatare der Denkmaschinen:

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