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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Soldaten Lassonde direkt an. Zweifellos genießen wir den Vorteil der Überraschung, aber Lassonde ist stark, und die Maschinen werden sich zu verteidigen wissen. Alle meine Freunde …« Salomo deutete noch einmal zu den Spiegeln. »… sind auf den Kampf konzentriert, aber ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, ob wir es schaffen werden. Die Denkmaschinen … Sie denken schneller als wir, und ihnen stehen die Ressourcen des Hauptstrangs zur Verfügung, mit all seinen Bewohnern. Wir sind nur wenige …«
    »Diese Leute, deine … Freunde, stecken sie wirklich in Spiegeln?«, fragte Florence.
    Ihre Stimme klang seltsam, und Zacharias erahnte den eigentlichen Sinn ihrer Frage. Sie wollte Salomo unterbrechen, seinen Worten dadurch ihre Wirkung nehmen.
    »Sei nicht dumm«, erwiderte der Seelenfänger. »Niemand steckt in einem Spiegel. Es sind Metaphern. Dieser ganze Ort ist eine Metapher, ein Sinnbild.«
    »Und die Spiegel? Was bedeuten sie?«
    Salomo achtete nicht auf sie und sah Zacharias an, der der Eindruck gewann, dass die Narbe unter dem einen Auge noch etwas dicker und länger geworden war. »Wir beide, Zacharias, wir könnten es schaffen. Zusammen wären wir stark genug. Wir könnten die Denkmaschinen bezwingen, sie voneinander isolieren, ihre Verbindungen unterbrechen. Wir könnten dem ganzen Netz Freiheit bringen.«
    »Sind es Tore?«, warf Florence ein. »Sind es Übergänge? Gibt es hier auch einen Spiegel, der nach Lassonde führt?«
    Zacharias wurde plötzlich klar, dass die Worte gar nicht Salomo galten, sondern ihm. Sie forderten ihn auf, nach einem Übergang zu pingen und nach einer Möglichkeit zu suchen, Lassonde zu erreichen. Er öffnete sein Radar und schickte ein Ping hinaus.
    »Wir?«, fragte er, horchte und hörte zahlreiche Echos, eins davon mit den Ohren: Schritte, die sich aus dem Dunkel hinter ihnen näherten. Er drehte nicht den Kopf, denn er wusste, wer da kam. Das Radar zeigte ihm eine unverkennbare Aura, bestehend aus einem bitteren synästhetischen Geruch und Vorstellungen von tiefen Gewölben, kalt und klamm, von Sonnenlicht unerreicht: Kronenberg.
    Die anderen Echos empfing er aus dem Spiegelwald, und einige von ihnen stammten tatsächlich von Übergängen – die entsprechenden Resonanzen wiesen eine gewisse Ähnlichkeit mit RV-Signalen auf. Mit den übrigen Echos hingegen konnte er kaum etwas anfangen. Sie waren verzerrt und wirr, wie Fragmente von Gedanken und Gefühlen, anstelle der erwarteten Aromen von Orten. Zacharias fragte sich, ob mit seiner Synästhesie etwas nicht stimmte, und dann begriff er, dass die Echos von den Menschen in den Spiegeln stammten. Was er empfing, waren Schatten ihres Leids. Sie alle litten, nicht nur jene, die hinter den Spiegelscheiben schrien. Von wegen Freunde, dachte er. Sie stecken in einem riesigen Gefängnis aus Glas, jeder von ihnen in seiner eigenen kleinen Zelle.
    »Ja, wir beide, Zacharias, du und ich«, sagte Salomo. »Zusammen können wir den ganzen Hauptstrang befreien.«
    Kronenberg trat auf sie zu, mit Rußpartikeln im zerzausten weißen Haar und Flecken im Gesicht. »Der Übergang ist offen und stabil«, wandte er sich an Salomo. »Unsere Truppen greifen Lassonde an.«
    Salomo streckte Zacharias die Hand entgegen. »Frieden zwischen uns. Um der Menschen willen. Lass uns gemeinsam den Maschinen entgegentreten, damit wir Herren unseres Schicksals bleiben.«
    Zacharias blickte auf die Hand, ohne sie zu ergreifen. »Und die Menschen in den Spiegeln?«, erwiderte er. »Sind sie Herren ihres Schicksals? Du bedienst dich ihrer Fantasie und ihrer Gedanken, um deine Welten zu bauen, um Soldaten und Waffen zu erschaffen und sie in den Krieg zu schicken. Du hast sie zu deinen Werkzeugen gemacht. Du hast ihre Seelen eingefangen und lässt sie nicht mehr los.«
    »Ich brauche sie«, sagte Salomo ernst. »Ich brauche ihre Gedanken, ihre Erinnerungen, ihre Fantasie. Manchmal hei ligt der Zweck tatsächlich die Mittel, Zacharias. Es steht zu viel auf dem Spiel.«
    Zacharias’ Gedanken glitten in eine andere Richtung. »Was ist mit dem Patienten, mit dem Japaner namens Haruko Isamu Abe? Er war eine Falle, nicht wahr? Das meinte Teneker, als er von einem Köder sprach. Eine Falle für die Traveller der Foundation. Sind sie hier?« Er sah zu den Spiegeln, zu der Frau, die Helen ähnelte und noch immer mit den Händen gegen das Glas schlug, in lautloser Verzweiflung.
    »Nein«, sagte Florence. »Nicht für die anderen Traveller. Die waren nur … Beifang. Er

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