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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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langsam und mit einem boshaften Lächeln um den statuenhaft reglosen Mann herumging. »In der Foundation warst du auf einen Rollstuhl angewiesen, eine Maschine. Willst du auch hier dein Leben von ihnen bestimmen lassen?«
    »Ich verstehe kein Wort.«
    Aber Florence an seiner Seite starrte Salomo groß an und schien zumindest zu ahnen, was er meinte.
    »Deine Flo …«, sagte der Seelenfänger. »Sie versteht, oder beginnt zu verstehen. Weil sie in Lassonde war und dort mit einer der Denkmaschinen gesprochen hat. Sie hat eine erste Vorstellung von den Zusammenhängen gewonnen.« Er machte eine einladende Geste. »Na schön, Zach. Wie du willst. Um dir meinen guten Willen zu beweisen, zeige ich euch Prisma.«
    Er ging einige Schritte, und Zacharias schloss sich ihm an, zog dabei Florence mit sich. Um sie herum veränderte sich die Welt: Sie verlor, für einige Momente, ihre dritte Dimension, wurde zu einem Bild wie an den Innenwänden einer Halbkugel, einer Kuppel. Haarrisse bildeten sich in Gebäuden, erstarrten Flammen und leerer Luft, und ein dumpfes Brummen kam aus der Tiefe, begleitet von einer Vibration, die die Haarrisse erweiterte. Die Welt im Innern des erloschenen Vulkans zerriss an Dutzenden, Hunderten von Stellen, und es entstanden große dreieckige Splitter, die sich von den Innenwänden der Halbkugel lösten, langsam flogen und sich dabei drehten, jeder von ihnen eine Quelle von buntem Licht. Eine kam auf Salomo, Zacharias und Florence zu und tauchte sie in ein Strahlen, so hell, dass Zacharias den Kopf abwandte. Dadurch sah er, was hinter ihnen geschah.
    Kronenberg stand, umgeben von dreieckigen Fragmenten der Vulkanwelt, vor dem immer noch erstarrten Mann, der Erasmus hieß. Er hob Florences Waffe, wog sie wie nachdenklich in der Hand und warf sie dann hoch. Zwei oder drei Meter über seinem Kopf verwandelte sie sich in einen Vogel, dessen Flügel in metallischem Blau schimmerten, als er mit ihnen schlug und in einem der großen Splitter verschwand. Dann richtete Kronenberg die rechte Hand auf das Gesicht des Reglosen, den Zeigefinger nach vorn gestreckt und den Daumen nach oben, senkt den Daumen langsam und sagte: »Peng.«
    Das Visier zersprang wie Glas, ein Loch erschien in der Stirn, und der Mann kippte nach hinten.
    Mehr sah Zacharias nicht, denn das leuchtende dreieckige Fragment – das Tor, der Übergang – nahm ihn zusammen mit Salomo und Florence auf.

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    E rhat ihn erschossen!«, stieß Florence fassungslos hervor. »Einfach so!«
    »Es tut mir leid«, erwiderte Salomo, und es klang aufrichtig, voller Mitgefühl. »Kronenberg ist manchmal ein wenig … impulsiv. Aber er hat recht; Erasmus und Protektor haben uns wirklich viel Ärger gemacht. Nun, damit ist es jetzt vorbei.« Er breitete die Arme aus. »Dies ist Prisma.«
    Sie schritten durch einen Saal voller Spiegel, so lang, dass sich sein Ende in vagem Dunst verlor, und so hoch, dass die Decke trotz des Lichts, das aus den Spiegeln kam, im Dunkeln blieb. Wohin Zacharias auch sah, überall drehten sich auf halbhohen Sockeln angebrachte Spiegel, manche klein und unregelmäßig geformt, wie aus größeren Spiegeln herausgerissen, andere hoch und rechteckig. Fast alle von ihnen präsentierten Männer und Frauen unterschiedlichen Alters, die meisten von ihnen ruhig und gesetzt, den abgeklärten Blick in die Ferne gerichtet. Aber in einigen Fällen zeigten die Gesichter keinen nachdenklichen Frieden, sondern Entsetzen: die Augen weit aufgerissen, den Mund zu einem Schrei geöffnet, Hände und Nase von der anderen Seite ans Glas des Spiegels gedrückt.
    Es war still im Saal, aber Zacharias glaubte trotzdem, die Schreie zu hören, Stimmen aus anderen Welten, weit entfernt und doch nur durch dünnes Glas vom Hier getrennt.
    Salomo blieb stehen, breitete die Arme aus und drehte sich um die eigene Achse. »Hier sind sie«, verkündete er. »Hier sind sie alle.«
    »Auch die entführten Legaten von Lassonde?«, fragte Florence.
    »Ich habe sie nicht entführt, sondern befreit«, erwiderte Salomo.
    Zacharias deutete auf einen Spiegel mit einer Frau, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Helen hatte. Ihr Gesicht war eingefallen und totenbleich, die Augen leer. Sie schrie nicht, aber vielleicht fehlte ihr dazu einfach nur die Kraft. Während er sie noch beobachtete, hob sie eine Hand und kratzte mit den Fingernägeln von der anderen Seite des Spiegels übers Glas. Es blieb still im Saal, aber Zacharias hörte trotzdem das Quietschen im Spiegel, mit seinen

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