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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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lautlos. Trotzdem glaubte Zacharias, das Knistern der Kleidung zu hören – die Frau trug ein langes Gewand, weiß wie die Tanzfläche, und der Mann einen Anzug so schwarz wie die Finsternis, die die Tanzfläche wie mit einer dunklen Mauer umgab. Es schien auf den ersten Blick eine Szene des Friedens und der Harmonie zu sein, aber die Gesichter der beiden Tänzer passten nicht dazu: Es waren Fratzen, erstarrt in Schmerz, und sie erinnerten Zacharias an die Szene im Haus von Randolph Amadeus Quint, mit dem, in gewisser Weise, alles begonnen hatte.
    »Dies ist deine letzte Chance, Zacharias!«, dröhnte Salomos Stimme durch den Spiegelsaal. »Werde mein Freund. Tritt an meine Seite. Kämpfe mit mir gegen das Joch der Maschinen.«
    »Er kann mich nicht zwingen«, flüsterte Zacharias. »Er kann mich nicht einmal mehr beeinflussen. Seine Stimme hat keine Wirkung auf mich!«
    »Aber er könnte dich töten«, erwiderte Florence leise. »Oder Kronenberg könnte es. So wie er Erasmus getötet hat. Ich fürchte, wenn wir hier sterben, wird das nicht lediglich zu einem Schock führen, der uns zur Foundation zurückbringt. Also?«
    »Also was?«
    »Bring uns nach Lassonde!«
    Zacharias spähte am Spiegel mit den beiden Tänzern vorbei und hielt nach Salomo und Kronenberg Ausschau. Das Leuchten der sich drehenden Spiegel schuf ständig wechselnde Muster aus Licht und Schatten, und hinzu kamen die Gestalten und Gesichter im reflektierenden Glas. Es gab zu viele Bewegungen, zu viele Veränderungen.
    Er schickte ein neues Ping in den Äther und empfing wieder zahlreiche Echos, ließ sich diesmal aber nicht von den wirren und verzerrten unter ihnen ablenken. Ein kurzes Jucken hinter dem linken Auge wies darauf hin, dass seine Synästhesie besser funktionierte: Er roch die Nähe mehrerer Übergänge.
    »Es gibt hier so etwas wie Rückversicherungssignale, Flo«, hauchte er. »Ich nehme an, Salomo hat damit Übergänge markiert. Aber ich weiß nicht, ob einer von ihnen nach Lassonde führt. Himmel, ich bin nie da gewesen! Und ich empfange keine Telemetrie von dir. In der Foundation sind wir vielleicht noch immer durch Interface-Systeme miteinander verbunden, aber hier sind wir es nicht. Ich kann keine Zielangaben von dir bekommen.«
    Es klirrte nur wenige Meter entfernt, und Zacharias reagierte instinktiv, nahm Florences Hand und eilte geduckt mit ihr weiter.
    »Die allerletzte Chance!«, rief irgendwo hinter ihnen der Seelenfänger, der ihre Seelen nicht fangen konnte. »Wenn du mir nicht helfen willst, muss ich dafür sorgen, dass du nicht der anderen Seite helfen kannst.«
    Eine zweite Stimme erklang, näher als die erste, viel näher. »Darum kümmere ich mich, und es wird mir ein Vergnügen sein.«
    Ein Gesicht mit kalten blauen Augen erschien in der kurzlebigen Dunkelheit zwischen zwei Spiegeln. Zacharias sah die Hand, zur Waffe geformt, der Zeigefinger wie ein Lauf, der Daumen als Hahn. Er lief schneller und dachte: Was du kannst, kann ich schon lange.
    Doch es war nicht leicht. Etwas – vielleicht seine bessere Anpassung an das, was Salomo »Hyperrealität« genannt hatte – hinderte den Seelenfänger daran, ihn unter seinen Einfluss zu bringen, aber das bedeutete nicht, dass Zacharias seine alte Freiheit im Space wiederfand. Bei den früheren Reisen war es ihm nicht weiter schwergefallen, die Umgebung zu verändern, wenn er das für nötig hielt, um eine Mission zu vereinfachen. Doch hier stellte sich nicht das Gefühl ein, die Struktur des Raumes und seines Inhalts berühren und ihr eine andere Form geben zu können. Außerdem war sein Selbst wie dreigeteilt: Ein Teil lief mit Florence und suchte nach den dunkelsten Bereichen zwischen den Spiegeln; der zweite schickte ein Ping nach dem anderen und beobachtete, was ihm das Radar anzeigte; und der dritte versuchte, ein Loch direkt unter Kronenbergs Füßen entstehen zu lassen, doch der Boden gehorchte ihm nicht.
    Etwas raste mit einem leisen Zischen an ihm vorbei, roch nach Gefahr und zertrümmerte einen Spiegel, an dem sie gerade vorbeiliefen und in dem ein Mann in einem grauen Anzug stand, die Hände dem nicht sichtbaren Himmel entgegengestreckt, als erflehte er göttliche Hilfe. Stattdessen stand er plötzlich zwischen den Scherben des zerbrochenen Spiegels, mit einem blutigen Loch im Hinterkopf, kippte zur Seite und schlug der Länge nach auf den Boden. Ein Röcheln kam aus seiner Kehle, in Beinen und Armen zuckte letztes Leben, und dann lag er reglos da, der Kopf in

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