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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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einer größer werdenden Blutlache.
    Die Spiegel, dachte Zacharias, und seine Traveller. Gedanken fegten durch Glas, trafen auf Widerstand …
    Die beiden Spiegel hinter ihnen, zwischen denen Kronenberg stand, platzten auseinander, und der zweite Schuss einer Hand, die sich in eine Waffe verwandelt hatte, ging an die dunkle Decke.
    »Nach Lassonde!«, stieß Florence kurzatmig hervor, als sie in einem engen Bogen um eine Ansammlung von zehn oder mehr Spiegeln liefen, die sich synchron drehten. Von einem unter ihnen kam eine Art RV-Signal, aber es klang schrill und roch falsch .
    »Ich hab’s verstanden, Flo! Behalte die Spiegel im Auge und gib mir Bescheid, wenn du irgendetwas siehst, das nach Lassonde aussieht.«
    »Es ist vorbei, Zacharias, hörst du?«, rief Salomo weit hinter ihnen. »Es ist vorbei. Du hast deine letzte Chance vertan. Jetzt kannst du nicht mehr mein Freund sein; von jetzt an bist du mein Feind.«
    Zacharias fühlte etwas inmitten seiner wild tanzenden, nach einem Ausweg suchenden Gedanken, und die Synästhesie machte es zu einem falschen Ton in einer bereits ziemlich lauten und schrillen Melodie. Was auch immer der Seelenfänger versuchte, er erreichte ihn nicht mehr.
    Ein Klirren ging wie ein Wind durch den Saal, und weitere Spiegel barsten. Menschen fielen aus ihnen, manche mit einem erschrockenen Seufzen, andere unter Schreien, die endlich dem gläsernen Käfig entkamen.
    »Salomo zerstört die Spiegel!«, entfuhr es Florence. »Vielleicht will er verhindern, dass wir einen Übergang finden und entkommen.«
    »Äh, nein«, erwiderte Zacharias. »Ich glaube, ich bin das.«
    »Du?«
    »Schon gut.« Er schien so etwas wie einen Dominoeffekt ausgelöst zu haben, der einen Spiegel nach dem anderen brechen ließ. Offenbar war seine Kraft zurückgekehrt, aber er hatte sie noch nicht ganz unter Kontrolle. »Dort drüben.« Er änderte geringfügig den Kurs durch den Spiegelwald, und zum Glück konnte Florence mit ihm Schritt halten, obwohl ihr Keuchen lauter wurde. »Ich empfange mehrere klare Ping-Echos.«
    Direkt neben ihnen brach ein Spiegel, in dem eine junge Frau mit feuerrotem Haar in einem Boot saß. Wasser strömte und spritzte in den Saal, das Boot ritt auf dieser Welle, und die Frau hielt sich erschrocken und verwirrt an den Seiten fest.
    »Wohin?«, rief Florence, als sie eine Lichtung im Wald aus Spiegeln erreichten.
    Zacharias sandte ein weiteres Ping aus, orientierte sich und deutete nach rechts, wo eine der großen grauweißen Säulen aufragte, die die in Finsternis verborgene Decke des Saals stützten. Ein rechteckiger Spiegel drehte sich dort, von weißem Glanz erfüllt. Zacharias blieb davor stehen. »Das ist ein Übergang.«
    Florence rang nach Atem. »Und was befindet sich auf der anderen Seite?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Nach Lassonde sieht das nicht aus.«
    »Ich glaube, wir haben keine Wahl.« Es krachte und klirrte noch immer im Saal, und als sich Zacharias umsah, bemerkte er eine Bewegung, die nicht von den zerbrechenden Spiegeln und den aus ihnen fallenden Menschen stammte. Jemand trat hinter der Säule hervor, ein kleiner Mann mit einer Narbe unter dem einen Auge, in der Hand etwas, das nach einer Waffe aussah. Offenbar hatte Salomo beschlossen, das Problem auf Kronenbergs Weise zu lösen.
    »Ich bin sicher , dass wir keine Wahl haben!« Zacharias gab Florence einen Stoß, der sie zum Spiegel taumeln ließ. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel, aber das Glas – das gar kein Glas war – splitterte nicht, als sie dagegen stieß. Stattdessen gab das Weiß nach, und sie verschwand darin.
    »Ein anderes Mal!«, rief Zacharias dem Seelenfänger zu und sprang Florence hinterher.

30
    K älte erwartete ihn, und heulender Wind, der ihm kleine Schneeflocken entgegenschleuderte, hart wie Eissplitter. Eine weiße Welt umgab ihn, sang ein kreischendes Begrüßungslied und umarmte ihn mit Frost. Die schmale weiße Tür, aus der er auf dieser Seite des Spiegel-Übergangs gefallen war, verlor sich fast im Schneesturm. Zacharias rappelte sich auf und duckte sich neben die Tür, nicht auf der Suche nach einem Windschatten, den es nicht gab, sondern dazu bereit, die Gestalt niederzuschlagen, von der er erwartete, dass sie gleich durch den Übergang kam.
    Doch die weiße Tür öffnete sich nicht. Salomo blieb auf seiner Seite, vielleicht deshalb, weil er einen ungemütlichen Empfang auf dieser befürchtete. Das vermutete Zacharias während der ersten Sekunden angespannten Wartens,

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