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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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glaubte oder nicht, darauf kam es nicht an. Die Verbindung war unterbrochen; den entkommenen Travellern und Legaten, unter ihnen Florence, drohte keine Gefahr mehr.
    Ich bin tot, dachte Zacharias. Und ich lebe.
    Er machte sich auf den Weg nach Lassonde.

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    36
    E s war eine stille, stumme Welt, die Zacharias erwartete, erstarrt in einem Moment des Todeskampfes, und sie trug bereits ein graues Leichentuch. Rauch lag wie ein Schleier über den zerfetzten und zerrissenen Gespinsten von Oberstadt. Sie hatten ihren goldenen Glanz verloren, und nur noch fransige Fragmente erinnerten an die Trau ben mit den Beeren-Häusern der Denker. In den hohen Tür men und weiten Plattformen von Mittelstadt klafften von gewaltigen Explosionen gerissene Wunden, dunkle Löcher, aus denen dicke, fette Rauchwolken quollen. Sie hingen in der stinkenden, ätzenden, im Hals brennenden Luft, die Zacharias’ Bewegungen Widerstand entgegensetzte, als wür de es sich um Wasser handeln.
    »Was ist hier passiert?«, fragte er. Seine Stimme klang seltsam dumpf, ein wenig in die Länge gezogen, wie die einer anderen Person.
    »Wir haben den Kampf verloren«, antwortete jemand.
    Er drehte sich um, und dort, neben dem Eingang zur Kuppel auf der Plattform, stand Lily in Gestalt des alten Mannes im cremefarbenen Gewand. Der Greis wirkte abgehärmter als bei ihrer letzten Begegnung, und das lange weiße Haar war wie vom Wind zerzaust. Direkt neben ihm liefen geschlechtslose Soldaten, grau wie der Rauch des Leichentuchs, zu den kleinen Luftschiffen, die an den langen Anlegestellen warteten. Die Erstarrung, die ganz Lassonde lähmte, hatte auch sie fest im Griff. Einer der Soldaten schien auf der Spitze seines linken Stiefels zu balancieren, doch sein Körper war unmöglich weit nach vorn geneigt; er hätte das Gleichgewicht verlieren und fallen müssen. Von den anderen schwebte einer dicht über dem Boden, zwischen zwei schnellen Schritten gefangen. Ein dritter schoss auf eine Gestalt, die geduckt auf einem Fugel saß, der mit angelegten Flügeln herabstürzte. Zacharias sah das Pro jektil, das eben gerade aus dem Lauf der klobigen Waffe gekommen war: ein silberner Todesbringer, größer als eine gewöhnliche Kugel, ausgestattet mit einem kleinen Treibsatz und einem winzigen Leitwerk, das es dem Projektil gestattete, die eigene Flugbahn zu verändern. Wohin sich der Protektor-Kämpfer auf dem Rücken des Fugels auch duckte, das Geschoss würde ihn treffen und zerreißen, und mit ihm vermutlich auch den Vogel – die Sprengladung im Kopf des Projektils war groß genug.
    Weiter oben, dicht unter den zerstörten Gespinsten von Oberstadt, die Zacharias an das Weltennetz am Himmel von Zuflucht erinnerten, stand ein riesiger, mehrere Hun dert Meter langer Zeppelin in Flammen. Das Feuer stammte von den Phosphor-Katapulten der beiden von grauen Soldaten gesteuerten Luftboote, die das Heck angriffen. Der Bug des gewaltigen Luftschiffs hatte sich bereits um dreißig Grad nach unten geneigt, Menschen fielen aus offenen Gondeln und Gefechtsstationen.
    Ein Brummen lag in der zähen Luft, wie das Grollen eines Raubtiers, das sich in einer nahen Höhle zum Sprung duckte. Es ist die Stimme des Todes, dachte Zacharias. So hört es sich an, wenn eine Welt stirbt.
    »Verloren?«, wiederholte er.
    Lily trat an einer Frau vorbei, aus deren Hals dort, wo sich normalerweise der Kehlkopf befand, ein Gerät ragte, das wie ein Mikrofon aussah und an dem mehrere Indikatoren leuchteten. In der rechten Hand hielt sie ein Messer, dessen Klinge offenbar aus gebündeltem Licht bestand, fokussiert von einem Modulator, der Teil ihres Handge lenks war. Das Gesicht der Frau konnte Zacharias nicht erkennen, denn sie trug eine Maske, aber das Licht der Klinge spiegelte sich in ihren Augen wider, die trotz der Todesstarre einer ganzen Welt sehr lebendig wirkten. Nur zwanzig Zentimeter trennten die Spitze ihres Messers aus Licht vom Gesicht eines Soldaten, der seinerseits eine Projektilwaffe auf sie gerichtet hatte, den Zeigefinger halb um den Abzug gekrümmt.
    »Salomo hat Lassonde übernommen«, sagte Lily.
    »Aber es wird noch gekämpft! Überall. Und solange gekämpft wird, hat er noch nicht gewonnen.«
    »Das ist ein ziemlich dummer Standpunkt«, kommen tierte Lily. »Typisch menschlich, wenn du gestattest. In eurer Vergangenheit fanden noch blutige Schlachten statt, als Generäle und Oberbefehlshaber schon das Weite suchten, weil sie von der Niederlage wussten.«
    Zacharias beobachtete

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