Seelenfänger
darauf vertraue ich.
Lily hatte diese Worte schnell geflüstert, in nur zwei oder drei Sekunden. Oder vielleicht hatte Zacharias einen Teil davon nicht mit den Ohren gehört, sondern allein in seinem Geist. Wichtig war: Florence hatte sie nicht empfangen. Und wichtig war auch, dass er sich nicht ihrer Wahrheit entziehen konnte.
Die Frage blieb: Wie sollte er sterben und gleichzeitig am Leben bleiben?
Das mit dem Sterben war leicht, er brauchte sich nur von Kronenberg erschießen zu lassen.
Aber nicht jetzt, nicht sofort, nicht bevor die letzte Antwort da war und ihm das Wie zeigte.
»Bumm!«, sagte Kronenberg und schoss mit der zur Waffe gewordenen Hand.
Zacharias kippte zur Seite, und etwas flog an ihm vorbei, etwas, das klein, hart und sehr schnell war. Ein Projektil, von Gedanken geformt, aber eingebettet in diese Realität namens Prisma. Es zischte an ihm vorbei, viel zu schnell, als dass man es mit bloßem Auge sehen konnte, aber Zacharias spürte einen Luftzug an der Wange, und sein inneres Radar teilte ihm mit, dass das Geschoss nur knapp den großen Spiegel des Übergangs verfehlte. Er sah ihn aus dem Augenwinkel, als er fiel und auf den Boden prallte, als ihm Glassplitter in die Hände schnitten. Er sah ihn und begriff, dass der Spiegel ein zweites Problem darstellte: Hinter seinem dünnen Glas warteten die Verbindungen des Knäuels, unter ihnen auch die nach Zuflucht, nicht leicht zu finden, aber vorhanden. Er musste den Zugang schließen. Gab es eine gemeinsame Lösung für beide Probleme?
»Salomo hätte auf mich hören sollen«, sagte Kronenberg. Wieder erfasste ihn das Licht eines der beiden rotierenden Spiegel, und als Zacharias aufstand, sah er kurz sein Gesicht. Die eisblauen Augen reflektierten das wandernde Licht und schienen kurz aufzuglühen. Unter der krummen Nase zeigte sich eine schmale Blutkruste. Zorn fehlte in diesem Gesicht, aber dafür mangelte es ihm nicht an kalter, erbarmungsloser Entschlossenheit. »Ich hätte dich in Tokio erschießen sollen. Es wäre die beste Lösung gewesen, schnell und sauber, ohne Komplikationen. Aber er wollte unbedingt versuchen, dich als Verbündeten zu gewinnen. Weißt du, dass er eine Art Bruder in dir sieht?«
Für eine schreckliche, albtraumhafte Sekunde dachte Zacharias, dass dies vielleicht die wahre Identität des Seelenfängers war: sein Bruder Alexander, nicht einen Monat nach seiner ersten Vision als Zehnjähriger einem Unfall zum Opfer gefallen, sondern bei Genesis aufgewachsen und auf seine heilige Mission vorbereitet.
»Wer ist er?«, fragte er.
»Wer ist was?« Kronenberg kam noch einen Schritt näher und schien dabei die Dunkelheit hinter sich herzuziehen wie einen Schweif.
»Der Seelenfänger. Salomo. Was ist seine wahre Identität?« Zacharias sah kurz auf seine Hände. Die von den Glassplittern auf dem Boden verursachten Schnittwunden waren bereits verheilt. Ich kann es schaffen, dachte er und hielt die Zuversicht fest, damit sie ihn nicht verließ. Ich weiß nur noch nicht wie.
»Ich weiß nicht, was du meinst. Er ist immer Salomo gewesen.«
Wusste er es wirklich nicht? »Und du?«, fragte Zacharias, um etwas Zeit zu gewinnen. »Bist du immer Kronenberg gewesen? Stammst du ebenfalls von Genesis?«
»Du willst Zeit gewinnen, deshalb stellst du diese Fragen.« Kronenberg blieb stehen und hob erneut die Hand, schneller als vorher. Zacharias hatte es erwartet und wandte sich noch einmal zur Seite, zeigte dabei aber mit Absicht weniger Agilität.
»Peng«, sagte Kronenberg, und einen Sekundenbruchteil später klatschte etwas gegen Zacharias’ Schulter. Er fiel, und drehte sich im Fallen, das zusätzliche Bewegungsmoment des Projektils riss ihn herum. Diesmal landete er auf dem Rücken, und sein Hinterkopf prallte schwer auf den Boden. Er gab Benommenheit vor, und Kronenberg reagierte darauf, indem er zwei Schritte näher kam und die Waffenhand senkte.
Zacharias ächzte, obwohl er keine Schmerzen hatte. Er fühlte nur ein Stechen, das er aus seiner Wahrnehmung verbannte. Er verscheuchte es einfach, wie ein lästiges Insekt, setzte sich auf und tastete nach der Schulter. Blut klebte an seinen Fingern, als er sie betrachtete.
»In Tokio wäre ich nicht gestorben. Du hättest auf mich schießen können, aber ich wäre nicht gestorben«, sagte Zacharias und stand auf.
»Das glaubst du.«
»Und ich sterbe auch hier nicht.« Das war der erste Schritt zum Tod: Sollten sie glauben, dass es Überheblichkeit war, die ihn zu einem
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