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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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fatalen Fehler verleitet hatte, der Hochmut, der vor dem Fall kam. »Siehst du?« Er strich Jacke und Hemd beiseite, damit Kronenberg seine Schulter sehen konnte. Die Wunde schloss sich.
    Der Mann mit dem weißen Haar und der krummen Nase – sie war noch immer gebrochen, stellte Zacharias fest und fragte sich, wieso sie nicht wie seine Schulter heilte – stand jetzt so nahe, dass er seinen Geruch wahrnahm, sein Aroma : so muffig und bitter wie bei ihrer ersten Begegnung, wie von einem tiefen, feuchten Keller, der lange Zeit nicht gelüftet worden war.
    »Dir ist noch immer nicht klar, wie dies funktioniert«, sagte Kronenberg. »Du bist hier in Prisma, in einer von Salomo geschaffenen Welt. Sie besteht nur aus diesem Saal und den Spiegeln, die ihr zerbrochen habt. Hier gelten Salomos Regeln, und sie gelten auch für dich. Eine dieser Regeln lautet: Wen ich hier erschieße, der bleibt tot. Wamm!«
    Zacharias sprang erneut, zum Spiegel, und ja, der Plan nahm Formen an, es war nicht mehr alles leer in dem Winkel seines Geistes, den er für eine Idee frei gehalten hatte. Du verstehst nicht, wie dies funktioniert, dachte er. Ich bestimme meine Regeln selbst.
    »Hoffst du, dass ich vorbeischieße und den Spiegel treffe?«, fragte Kronenberg und deutete auf den Übergang. Zacharias stand genau davor. »Hoffst du, dass ich ihn zerstöre? Selbst wenn er zerspringt, selbst wenn du ihn umstößt und er zerbricht, falls du das vorhast … Wir schaffen einfach einen neuen. Wir holen uns die Traveller und lassondischen Legaten zurück. Und auch deine Florence.« Bei diesen letzten Worten gestattete sich Kronenberg ein Lächeln.
    Es war kein böses Lächeln. Es war nicht das Lächeln eines Oberschurken, der seinen endgültigen Triumph genoss. Es war das dünne, zufriedene Lächeln eines Mannes, der sich am Ziel sah, der etwas erledigte, das er immer für richtig gehalten hatte, und der etwas Persönliches damit verband, seine eigene kleine Rache. Kein großes Lächeln – aber es war zu viel für Zacharias. Er beugte sich dem Gebot der Notwendigkeit, weil er keine andere Möglichkeit sah, doch es war ihm zuwider, dass er diesem Mann, ausgerechnet Kronenberg, einen solchen Triumph gestatten musste.
    Vielleicht …
    Die Versuchung war zu groß; er konnte ihr nicht widerstehen.
    Zacharias sprang, bevor Kronenberg erneut die Hand heben konnte, und rammte ihm die Faust auf die bereits gebrochene Nase. Blut spritzte wie in Zeitlupe: kleine rote Tropfen, die in alle Richtungen flogen. Einige trafen ihn, und er versuchte gar nicht, ihnen auszuweichen, er nahm sie wie eine Trophäe entgegen. Sie machten alles noch glaubwürdiger.
    »Ein kleines Andenken von mir«, knurrte er, wirbelte herum und warf sich dem Spiegel entgegen.
    Dies war der Moment, der schmale Grat, die dünne Linie zwischen Leben und Tod. Er hätte schneller sein können, das spürte Zacharias, er wusste es mit einer Gewissheit, die keine Zweifel zuließ. Er hatte sich und seine Bewegungen unter Kontrolle, konnte Einfluss auf den Space in seiner Nähe nehmen und ihn verändern, sich selbst schneller machen, oder alles andere langsamer. Der Sprung durch den Spiegel, durch den Übergang und nach Zuflucht, wäre ihm vermutlich gelungen, und wahrscheinlich hätte es Kronenberg nicht einmal gewagt, auf ihn zu schießen, aus Sorge, den Spiegel zu beschädigen oder ihn zu zerstören. Aber so schnell durfte er nicht sein. Er musste Kronenberg Gelegenheit geben, auf ihn zu zielen, mit einer Waffe aus Daumen und Zeigefinger. Er musste ihm gestatten, ein imaginäres Projektil auf ihn abzufeuern.
    Kronenbergs Sorge um den Übergang hatte Zacharias auf den richtigen Gedanken gebracht. Plötzlich waren alle Einzelzeiten der Idee da, und mit ihr die Lösung für beide Probleme, für seine Existenz in Leben und Tod und auch für den Spiegel.
    »Bamm«, sagte Kronenberg hinter ihm.
    Dort kam er, der Tod, hinter ihm, von Gedanken geformt. Zacharias glaubte ihn zu sehen, mit den Augen seines Radars, und er wusste was geschehen würde, er beobachtete es wie mit den Augen eines Dritten. Er sah, wie die Kugel ein Loch zwischen die Schulterblätter riss, wie sie sich, damit nicht zufrieden, tiefer bohrte, nach vorn und durchs Herz, sah, wie sie gleich ein zweites Loch in der Brust schaffen würde, größer und blutiger als das im Rücken.
    Was machte ein Spiegel?
    Ein Spiegel spiegelt, dachte Zacharias, während er dem Glas entgegenfiel, schnell, aber nicht schnell genug, nicht so schnell, wie

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