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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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bestehen schienen. Sie näherten sich den Kindern, streckten gierig halb verweste Hände und blutige Klauen nach ihnen aus …
    Ein leises Ächzen kam von dem Mann im Lehnsessel, und ein Zombie verschwand. Zwei weitere folgten, und auf der anderen Seite löste sich ein Ungeheuer auf, das nach einem kleinen Drachen ausgesehen hatte. Doch die übrigen Monstren setzten den Weg unbeirrt fort, und als der erste grunzende Untote den Springbrunnen erreichte …
    Eine Hand ergriff Zacharias am Arm und zog ihn fort, zurück in den Mittelgang zwischen den Nischen und Räumen, und dann noch ein Stück weiter in Richtung Tür, vorbei auch an der Nische mit den Schlaraffenland-Bildern.
    »Das war Quinton«, sagte Salomo und meinte den hageren Mann im Lehnsessel. »Er kümmert sich um unsere Problemfälle.«
    »Jene Welt … Sie existiert wie die anderen, die wir gesehen haben?«, fragte Zacharias, als sie den Saal im dritten Stock verließen und die Treppe hinuntergingen.
    »Ja«, bestätigte Salomo. »Quinton vertreibt die Ungeheuer aus den Welten, die Albträumen entspringen.«
    Auf dem Weg nach unten dachte Zacharias über diese Worte nach, und als sie nach draußen traten, in die Kühle Nacht am wie Silber glänzenden Kratersee, sagte er: »Er macht das, was wir in der Foundation tun? Er beseitigt Traumata?«
    »Er repariert Welten«, antwortete Salomo. Und bevor Zacharias weitere Fragen stellen konnte, fügte er hinzu: »Wir sind weit herumgekommen und haben viel gesehen. Bestimmt bist du hungrig und müde.«
    Zacharias hörte plötzlich, wie ihm der Magen knurrte, und gleichzeitig wurden ihm die Lider schwer.
    »Ich zeige dir jetzt dein Quartier, wo du etwas essen und schlafen kannst. Morgen hast du Gelegenheit, mit all den anderen zu sprechen, die hier in Prisma wohnen, und dann …« Er lächelte und klopfte Zacharias auf die Schulter. »Dann kommt der Moment der Entscheidung.«
    Zacharias schlief und träumte von Lingbeek.
    Er träumte, dass ein Motor brummte, und manchmal klang es wie ein Knurren, untermalt von der Stimme des heulenden Windes. Florence sah aus dem Fenster, doch wenn es dort draußen etwas anderes gab als nur Schnee und Eis, verbarg es sich hinter dem Vorhang aus wirbelnden Flocken.
    »Wie weit ist es noch bis nach Lingbeek?«, fragte sie und ahnte, dass sie diese Frage nur stellte, um etwas zu sagen, um das Schweigen zu beenden, das schwer auf ihnen beiden lastete, oder zumindest auf ihr.
    Zacharias steuerte den Wagen, der sich seit zwei Stunden durch Schnee und Eis wühlte. »Dreißig Kilometer«, erwiderte er nach einem Blick auf die Kontrollen. »In einer knappen Stunde sind wir da.«
    »Das sagen die Instrumente.« Florence beobachtete ihn aufmerksam, nicht nur mit den Augen, sondern auch mit Lilys Sensoren, deren Datenflüstern sie aus dem Interface-Äquivalent am Ohr empfing. Die biotelemetrischen Daten deuteten auf starken Stress hin, der Körper und Geist betraf. So ruhig sich Zacharias auch gab, in ihm herrschte Aufruhr.
    Florence hatte ihm gesagt, dass sein Zustand sich bald verschlechtern und zu einer vollständigen Lähmung führen würde.
    Vielleicht hatte sie den falschen Zeitpunkt gewählt, aber gab es überhaupt einen richtigen Moment für solche Mitteilungen?
    »Du fährst zu schnell«, sagte sie und deutete hinaus ins Schneetreiben. Das Licht der Scheinwerfer traf wie auf eine wogende weiße Mauer; von den Straßenbegrenzungen war längst nichts mehr zu sehen. »Und es geht dir nicht gut.«
    Zacharias lachte humorlos. »Darauf hast du deutlich genug hingewiesen, nicht wahr?«
    »Es tut mir leid, Zach.«
    Er warf ihr einen kurzen Blick zu und starrte dann wieder nach draußen. »O ja, das glaube ich dir. Aber es ändert nichts. Meine Krankheit wird mich also bald an den Rollstuhl fesseln. Wie bald?« Und dann, mit plötzlicher Hoffnung, fragte er: »Oder ist es Teil dieses Tests? Will Jonas wissen, wie ich auf besondere Belastungen reagiere?«
    Florence beobachtete ihn besorgt und schüttelte langsam den Kopf. Sie hatte ihr Studium der empathischen Psychologie erst vor einem knappen Jahr abgeschlossen und arbeitete seit sechs Monaten als Therapeutin für die Foundation. Von der Theorie her fühlte sie sich gut vorbereitet, aber in der Praxis begegnete sie immer wieder neuen, unerwarteten Problemen, die oft in Zusammenhang damit standen, dass sie sich zu sehr mit den Personen identifizierte, mit denen sie zusammenarbeitete. Sie fragte sich, warum Direktor Rasmussen sie ausgerechnet

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