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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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ihre Grenzen stoßen.« Er deutete auf ein lang gestrecktes, opalisierendes Gebäude direkt am Ufer des Vulkansees. »Dort arbeiten sie, unsere Konstrukteure.«
    So groß die Stadt auch war, so viel Platz sie auch bot: Es schienen nicht besonders viele Menschen in Prisma zu wohnen. Auf dem Weg zum See bemerkte Zacharias nicht mehr als etwa dreißig. Als er Salomo darauf ansprach, wech selten der kleine Mann und Kronenberg einen Blick.
    »Wir stehen am Anfang«, sagte Salomo. »Wer hierherkommt, nach Prisma, ist mindestens ein Traveller, und die talentiertesten von ihnen sind Brücken- oder gar Weltenbauer. Wir suchen weitere Talente, Leute wie dich, Zacharias, und sie können hier bei uns wohnen. Es ist alles vorbereitet.« Er lächelte und breitete die Arme aus. »Gefällt dir die Stadt?«
    »Sie ist bunt und hell«, erwiderte Zacharias, und dann lachte er, weil ihm plötzlich zum Lachen zumute war, und es fühlte sich wie eine Befreiung an, denn die Reste der Anspannung fielen von ihm ab, und Ruhe und Frieden breiteten sich bis in die letzten Winkel seines Selbst aus. Die warnende Stimme erklang nicht mehr, vielleicht deshalb, weil es keinen Grund mehr gab, vor irgendetwas zu warnen.
    Bevor sie das lang gestreckte Gebäude der Weltenbauer erreichten, betraten sie ein anderes, eine Mischung aus Kuppel und Pyramide. Die Sonne versank hinter dem Kraterrand, und das prächtige prismatische Farbenspiel wich einem ruhigeren, zurückhaltenderen Glänzen und Funkeln, als Hunderte Straßenlaternen in der Stadt zu leuchten begannen. Ihr Licht fiel durch die halbtransparenten Wände des Gebäudes und zeigte Zacharias zahllose Türen, kleine und große, schmale und hohe, runde und eckige. Sie standen auf dem Boden, die Rahmen schmal wie Striche, die Türen dünn wie Papier, ragten halb fertig aus den Wänden oder schwebten langsam durch die Luft, an den Fäden von etwas entlang, das nach einem komplexen Spinnennetz in der Mitte des Raums aussah. Weiter oben bewegten sich Leute auf offenen Emporen, manche von ihnen auffallend jung, fast noch Kinder. Auch sie winkten und lächelten, als sie Salomos Gruppe sahen.
    »Das sind einige unserer Brückenbauer«, sagte Salomo und erwiderte die Grüße. »Hier siehst du die Endpunkte aller Brücken, die bisher gebaut wurden, Zacharias, mit den ursprünglichen Türen.«
    »Es sind viele.«
    »Mehr als zweihundert«, sagte Salomo mit unüberhörbarem Stolz. »Über zweihundert Welten sind direkt miteinander verbunden, und hinzukommen noch einmal hundert, die mit gewöhnlichen Übergängen erreicht werden können. Und doch … Sie sind nur ein kleiner Teil des Netzes, ein verschwindend kleiner Teil. Unsere Weltenbauer sind vor allem damit beschäftigt, die bereits bestehenden Welten zu stabilisieren und zu sperren.«
    »Zu sperren?«, wiederholte Zacharias.
    »Sie sorgen dafür, dass sie nicht ohne weiteres verändert werden können.«
    »Damit sie so … real wie möglich erscheinen?«
    »Wenn du es so nennen möchtest«, sagte Salomo, und etwas in seinem Ton machte deutlich, dass es eine zu einfache Erklärung für etwas Kompliziertes war.
    Als sie nach draußen zurückkehrten, verschwanden die letzten Reste Sonnenlicht vom Himmel, und zwei Monde – beide so groß wie der Mond, den Zacharias kannte –, kletterten über den Kraterrand. Der See glänzte wie Silber, und für einen Moment stellte sich Zacharias vor, dass er nicht aus Wasser bestand, sondern aus Quecksilber. Aber dann wäre die Luft im Innern des Kraters sehr giftig gewesen.
    Mattes Licht erwartete sie im Innern des Gebäudes, das sich lang und rechteckig direkt an der Uferpromenade erstreckte. Drei Stockwerke weit ragte es auf, und in jeder Etage gab es einen großen Saal mit hohen Raumteilern, die so angeordnet werden konnten, dass sie die Säle in zahlreiche Zimmer und Nischen unterteilten. Ein breiter Gang in der Mitte führte an den einzelnen Segmenten vorbei, und als sie eintraten, bemerkte Zacharias ein Flackern, das von mehreren Orten kam und sich dem stetigen Licht der Monde hinzugesellte, das durch die kristallenen und gläsernen Wände leuchtete.
    Wie sich herausstellte, stammte das Flackern von zahlreichen schwebenden Bildern in den einzelnen, von Raumteilern begrenzten Segmenten. Sie erinnerten Zacharias an die Szenen, die Salomo ihm vom möglichen Leben mit Florence gezeigt hatte: dreidimensionale Streiflichter, die nicht das Leben einer Person betrafen, oder das eines Paars und einer Familie, sondern Welten,

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