Seelenfeuer
Europa.
Während sie mit Bruder Markus auf der kleinen Sitzgruppe im Garten saßen und den Tag genossen, näherte sich Abt von Nordstetten, von der Rückseite der Abteikirche kommend. Die Hände wie zum Gebet gefaltet, wirkte er ernst und still.
»Pater Wendelin, habt Ihr die Güte, mir ins Parlatorium zu folgen? Dort sind wir um diese Zeit ungestört.«
Der Abt stellte seine Bitte mit der gewohnten Liebenswürdigkeit, doch in seiner Stimme war eine gewisse Dringlichkeit zu ahnen.
Dann muss es etwas Wichtiges geben, dachte Wendelin, denn für die Brüder galt um diese Zeit wieder das absolute
Schweigegebot. Bis zur Vesper verbot die Benediktinerregel außerhalb des Parlatoriums Gespräche jeglicher Art. Wendelin nickte, schob die Ärmel seiner Soutane zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann folgte er dem Abt.
Basilius erhob sich ebenfalls und entschuldigte sich. Sein Lieblingsplatz in der Abtei war die Klosterapotheke. Hier verbrachte er Stunde um Stunde beim Studium der verschiedenen Ingredienzien und im fachlichen Gespräch mit dem zuständigen Mönch.
Luzia und Johannes blieben mit Bruder Markus im Klostergarten zurück. Er lag umgeben von einer dichten Hecke aus Hainbuche, ein wenig den Hang hinunter, hinter dem Gebäude. Jetzt im August waren die meisten Kräuter bereits verblüht und leicht verholzt, dafür verbreiteten die Pflanzen in der Nachmittagshitze ihren betörenden Duft. Bruder Markus, ein junger, äußerst gesprächiger Mann mit dunkler Tonsur und hellen, wissbegierigen Augen, führte sie, nicht ohne Stolz, durch die Gartenanlage. Trotz seiner Jugend waren sein Wissen auf dem Gebiet des Gartenbaus und der Heilpflanzenkunde äußerst umfangreich und sein Rat sehr begehrt. Abt von Nordstetten hatte für den jungen Mönch während der Dauer des Besuchs aus Seefelden das Schweigegebot auch außerhalb des Parlatoriums ein wenig gelockert, was ihm sehr gelegen kam.
»Der Garten ist wunderschön! Fast schon paradiesisch«, lobte Luzia das großzügige Land hinter dem Klostergebäude. »Und es ist so friedlich. Fast wie in einer anderen Welt.«
»Wir fühlen uns sehr wohl in Eurer Abtei«, bestätigte auch Johannes.
»Nun, das freut mich! Dem heiligen Benedikt bedeutete
die Gastfreundschaft sehr viel. ›Fremde, die kommen, sollt ihr aufnehmen wie Christus selbst‹, lautete eine seiner Regeln. Und wenn sich die Gäste als so genügsam und wohlwollend erweisen, wie Ihr es seid …«, sagte Bruder Markus mit einem freundlichen Lächeln und führte sie die Wege entlang, vorbei an alten Apfelbäumen und Gemüsebeeten, in denen zwei Brüder Unkraut zupften. Rundum fand der Garten seine Begrenzung durch schützende Mauern, die die gesamte Klosteranlage umgaben. Ein Durchlass und ein schmaler Weg führten zu einem kleinen Steg ans Seeufer.
Während sich Johannes mit Bruder Markus über die Bienenzucht unterhielt, wanderte sein Blick immer wieder zu Luzia. Die Sonne des Erntemondes brachte ihr mit silbernen Nadeln aufgestecktes Haar zum Leuchten. Seit Wochen hatte sie nicht mehr so glücklich gewirkt, so unbeschwert.
»… im Winter stellen wir die Bienenkörbe dicht an die Südwand, dort haben sie es warm.«
»Wie meint Ihr?«
»Die Bienen, wir überwintern die Körbe dicht am Haus.« Bruder Markus sah ihn überrascht an.
»Ja, da haben sie es behaglich«, sagte Johannes und nickte.
Voller Anmut beugte sich Luzia zu einer besonders schönen Blüte einer violetten Akelei hinab, auf der ein Tagpfauenauge nach Nektar suchte.
Johannes’ liebevoller Blick fing sich am sanften Schwung ihres Nackens, und als sich ihre Augen trafen, begannen ihre Herzen zu brennen. Er schwelgte im zarten Erröten ihrer Wangen, bis sie sich wieder aufrichtete und vor ihm den festgetretenen Weg durch den Garten zum See hinunterging. Johannes meinte in ihrem wiegenden Gang ihre Verwirrung
und gleichzeitig eine herausfordernde Verlockung zu spüren. Er konnte den Blick nicht von ihrer Gestalt wenden und hatte keinen Blick für die rosaroten Stockrosen und goldenen Sonnenblumen, die den Weg zu beiden Seiten säumten. Vorbei an dunkelblauem Rittersporn und schneeweißen Astern gelangten sie schließlich in die hinterste Ecke des Blumengartens.
»Oh, wie schön! Bruder Markus, welch eine wundersame Pflanze wächst denn hier?«, rief Luzia begeistert.
»Das ist die Iris nigricans oder auch die schwarze Schwertlilie«, sagte der Mönch leise, als fürchte er, ihren Namen laut auszusprechen. Bruder Markus
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