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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Haller
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Geld habe ich auch keines mehr.«
    »Es ist nur ein Spiel. Glaubt, was Euch gefällt, das andere vergesst ganz schnell«, schmeichelte die junge Frau.
    Luzia zögerte für eine winzige Sekunde, und das nutzte eine alte Zigeunerin aus, die im Eingang des mit allerlei Orakelzeichen geschmückten Zeltes gewartet hatte. Ihr geflochtenes Haar und ihre Augen hatten die Farbe von Kohlen, und ihre Stimme glich dem Schnurren einer Katze. Unerwartet griff sie nach Luzias Hand, und Luzia glaubte zu verbrennen. Während die Fahrende etwas Unverständliches murmelte und ihre Augen verdrehte, lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter. Sie fürchtete sich auf einmal.
    »Nimm dich in Acht, Mädchen!«, flüsterte die Zigeunerin eindringlich. »Ich sehe einen heiligen Mann. In seinem Gepäck befindet sich Feuer. Ich fühle die Flammen bereits auf deiner Haut.« Die Alte verstärkte ihren Griff noch einmal und murmelte: »Noch ehe das Jahr um ist … etwas Schreckliches steht dir bevor …«
    In Panik entriss Luzia der Alten ihre Hand und rannte durch die Menschenmenge davon, dabei fielen ihr die Nüsse aus der Hand. Mit zitternden Knien und einem Herzen, das ihr bis zum Hals schlug, eilte sie Richtung Münster davon. Ein paarmal drehte sie sich um und blickte zurück, doch keiner der Fahrenden folgte ihr. Stattdessen begegneten ihr Frauen jeden Standes, die mit schwer beladenen Körben vom Markt kamen und ihre plärrenden Kinder hinter sich her zogen.
Innerhalb einer hölzernen Umzäunung quiekten Schweine, und Hähne krähten ein letztes Mal, bevor ihnen eine vierschrötige Marktfrau den Hals umdrehte und sie für immer verstummten. Der Lärm schien Luzia mit einem Mal ohrenbetäubend. Sie drängte sich weiter durch die Menschenmenge, die sich, wie sie glaubte, immer enger um sie schloss.
    Der Gestank des Fischmarkts waberte durch den ganzen Oberen Markt und verursachte ihr Übelkeit. Während sich die lärmenden Fischweiber beim Anpreisen ihrer Waren übertrumpften, glänzten vor ihnen die silbernen Fischleiber in der Mittagssonne. Unter den schweren Holzständen lagen überall abgetrennte Fischköpfe und Schwanzflossen auf dem Boden. Eine Meute wilder Hund zankte sich um die besten Brocken, ehe sie der Marktaufseher mit dem Stecken auseinandertrieb. Luzia eilte weiter. Als sie nur noch wenige Schritte vom Kirchplatz trennten, atmete sie auf.
    Auf der Treppe zum Münster knieten Bettler. Sie warteten, bis ihnen die Betwilligen und Pilger, die auf dem Weg nach Santiago de Compostela in Überlingen rasteten, ein Almosen in den Beutel legten.
    Die wilde Furcht entließ sie nur langsam wieder aus ihren Klauen. Luzia hatte keine Augen für die Basilika, sie hielt nach Johannes Ausschau. Auf keinen Fall würde sie abermals hinunter zum Markt gehen, denn dort würde sie wieder auf die Zigeunerin treffen. Obwohl sie den wahrsagerischen Prophezeiungen der Alten keine Bedeutung schenken wollte, konnte sie die Worte der exotischen Frau nicht abstreifen. Düster und unheilschwanger hallten sie in ihrem Kopf. Kraftlos ließ sie sich auf die steinernen Stufen vor dem Gotteshaus sinken.
    Hier fand Johannes sie kurze Zeit später. »Was ist denn geschehen?
Du zitterst ja«, stellte er besorgt fest. »Du bist ganz bleich.«
    Luzia hätte am liebsten alle Benimmregeln über Bord geworfen und wäre ihm um den Hals gefallen, aber dann würde die Möglichkeit bestehen, dass sie ihn nie wieder losließ. Allein der Gedanke sorgte dafür, dass sie sich besser fühlte.
    Johannes zog sie hoch und führte sie zum hohen Portal der Basilika. Im Inneren nahm sie die sanfte Kühle der Kirche in die Arme. Sie strebten dem rechten Seitenaltar zu, der schon seit langem fertiggestellt war. Hier hatte Luzia bereits früher manchmal zur Muttergottes gebetet. Sie setzten sich in die kleine Bank vor der goldenen Madonna, und während Luzia die Stille atmete, spürte sie die beruhigende Anwesenheit von Johannes neben sich. Bevor er seine Hände zum Gebet faltete, nahm er ihre Hand und folgte in einer glühenden Spur der Linie ihrer Handfläche. Als er einen zarten Kuss darauf hauchte, brannten Luzias Wangen. Ich liebe ihn, dachte sie, ehe sie ihr Wort an Gott wandte.
     
    Nach den ausgiebigen Regenfällen der Nacht klarte der Himmel etwas auf, und die Sonne trat ihren Weg durch die Wolken an. Gleich nach der Morgensuppe hatte Johannes mit Basilius’ Hilfe begonnen, den Wagen mit Reisekörben zu beladen. Noch vor dem Achtuhrläuten half er Luzia auf das Gefährt, dessen

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