Seelenfeuer
deutete auf mehrere nachtschwarze Blüten, die einen außergewöhnlichen Kontrast zu den hellgrünen Stängeln bildeten. »Ein befreundeter Bruder des Klosters Beuron hat sie mir von einer langen Reise mitgebracht. Eigentlich ist sie eine Wüstenbewohnerin. Deshalb habe ich die Zwiebeln auch in ein Sandbeet gepflanzt, und ich glaube, sie fühlt sich ganz wohl.«
Luzia kniete nieder und berührte die samtene schwarze Blüte behutsam. »Sie ist ungewöhnlich, aber wunderschön.«
»Ja, das ist sie, und gerade weil eine schwarze Blüte im Herzen der Menschen sehr unterschiedliche Gefühle weckt, ist sie eine meiner Lieblingspflanzen. Leider ernte ich nicht nur Begeisterung für diese seltene Schönheit. Manche halten sie gar für eine Teufelsblume.«
Johannes schüttelte unwillig den Kopf. »Wer behauptet denn so etwas?«
»Der ehrwürdige Heinrich Kramer, Prior des Dominikanerordens zu Schlettstadt, ist dieser Meinung. Er verbrachte erst vor kurzem ein paar Nächte als unser Gast in dieser Abtei, bevor er die letzten Kilometer nach Konstanz zurücklegte, wo
man ihn bereits erwartete. Eigentlich sollte ich das nicht sagen, aber wir alle sind froh, dass er sich nur auf der Durchreise befand. Wo er auftaucht, fürchten ihn die Menschen. Unseren Bruder Kellermeister und Bruder Jonathan, der für unsere Mahlzeiten Sorge trägt, hat er aufs Tiefste beleidigt und mir warf er gar vor, vom wahren Glauben abgefallen zu sein!« Bruder Markus bekreuzigte sich mehrfach.
»Wer ist dieser Heinrich Kramer?«, wollte Johannes wissen. »Ihr habt noch nie von ihm gehört?«, fragte Bruder Markus ungläubig.
Auch Luzia schüttelte den Kopf.
»Er ist als päpstlicher Inquisitor zuständig für die Untersuchung des Hexenwesens in ganz Oberdeutschland. Argwöhnisch beäugte er jede Pflanze unseres Kräutergartens, die nicht in Walahfrid Strabos Lehrgedicht vorkommt, und bedachte mich während meiner Arbeit mit finsterem Blick, als würde ich Gott weiß was daraus bereiten.«
»Das Hexenwesen!«, entfuhr es Luzia, während sich ein kalter Schauer auf ihrem Rücken ausbreitete.
»Wie kann ein Mensch, der wenigstens ein Mindestmaß an Bildung erfahren hat, einem derartigen Irrglauben verfallen«, erwiderte Johannes heftiger als beabsichtigt, ehe sich seine Lippen zu einem Strich verhärteten.
Bruder Markus nickte und rollte die langen Ärmel seiner Kutte auf. »Ich glaube auch nicht an die Existenz von Hexen, allerdings verstehe ich davon zu wenig, als dass ich mir ein Urteil bilden könnte.« Er wandte sich an Luzia. »Aber solltet Ihr ihm je begegnen, so tragt Sorge dafür, dass Ihr Euer Haar bedeckt und Euer züchtigstes Kleid wählt.«
Angesichts der warnenden Worte des Bruders erfasste Luzia
eine seltsame Furcht und ein eisiger Luftzug streifte ihre Wange, ehe er ein paar trockene Blätter aufwirbelte und sich in der Weite des völlig windstillen Tages verlor. Trotz der stehenden Mittagshitze fröstelte sie, als sei es bereits Winter. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als verdunkle sich der Himmel. Luzia fühlte sich wie von dunklem Wasser umgeben. Eiskalt drang es ihr in Mund und Nase und drohte sie zu ersticken.
»Fühlst du dich nicht wohl, du bist ganz blass«, vernahm sie Johannes’ besorgte Stimme.
»Die Hitze macht mir zu schaffen, aber es geht schon wieder.«
»Lass uns dort in den Schatten der alten Linde setzen«, schlug er liebevoll vor und lenkte Luzia bereits zu der moosbewachsenen Steinbank am Fuße des Lindenstamms.
Bruder Markus hatte einen besseren Vorschlag zu machen: »Herr Medicus, begleitet die Dame lieber hinauf zu Bruder Jonathan, er bereitet um diese Zeit immer eine köstliche Erfrischung aus Zitronenmelisse und Minze. Diese Stärkung würde ihr sicher guttun, und bald treffen wir uns zum Stundengebet in der Abteikirche. Ihr seid natürlich wieder herzlich eingeladen. Dort ist es still und kühl.«
Johannes dankte dem Mönch und führte Luzia den kleinen Hang hinauf, der an der Schwelle der Klosterküche endete.
Als Luzia zum Himmel blickte, sah sie nicht eine Wolke. Er war tiefblau und strahlte wie Lapislazuli.
Das Parlatorium war ein großer, hoher, weißgekalkter Raum mit kleinen Fenstern, durch die man auf den Bodensee sehen konnte. An den Wänden hingen Bilder des heiligen Benedikt und anderer Heiliger und Märtyrer, und rechts an der Wand
über der mächtigen Truhe ruhte ein fein gearbeitetes Kreuz. Der Abt bot Pater Wendelin den Platz neben dem Lehmofen und ließ sich mit einem tiefen
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