Seelenfeuer
scharf riechenden Alkohollösung zuzuführen, klingelte das kleine Glöckchen über dem Eingang der Apotheke und Johannes trat ein.
»So eine Überraschung, ich dachte, du arbeitest heute bis in die Nacht hinein im Antoniterspital«, sagte Basilius lächelnd und nahm seine Augengläser ab.
»Das tat ich bis gerade eben auch«, entgegnete Johannes, ehe er Luzias Hand nahm und an seine Lippen führte.
Luzia schenkte ihm ein Lächeln, obwohl ihr nicht nach Scherzen war. Ihr Herz wog schwer, und sie weinte nächtelang. Seit sie bei ihrer Rückkehr aus Seefelden diesem Heinrich Kramer begegnet waren, redeten die Leute noch hemmungsloser über sie, als das vor ihrer Abreise der Fall gewesen war.
Basilius dachte mit leidvoller Miene, dass er ein Narr gewesen war, weil er Luzias Wunsch nachgegeben und die Rückkehr nach Ravensburg gestattet hatte.
Auch Johannes machte sich zum wiederholten Male den Vorwurf, nicht alles getan zu haben, um Luzia vor diesen Demütigungen zu schützen.
Nichts hatte sich während ihrer Abwesenheit gebessert, niemand hatte sich beruhigt, nicht eine einzige Woge hatte sich geglättet – nein, das wäre bei weitem untertrieben! Auch viele von denen, die bisher zu Luzia gehalten oder zumindest nicht gegen sie gesprochen hatten, waren jetzt ganz vorn dabei, wenn es darum ging, sich über sie das Maul zu zerreißen. Die gottesfürchtigen Ravensburger Bürger feindeten sie öffentlich an, jeder Gang glich einem Spießrutenlauf. Doch Luzia, ihr Onkel Basilius und Johannes von der Wehr waren sich einig, dass Luzia nur mit ihrem öffentlichen Auftreten den Menschen zeigen konnte, dass sie immer noch zu ihnen gehörte und sich nicht verunsichern ließ.
»Ich habe meine Arbeit vorzeitig beendet, weil ich keine vom Antoniusfeuer abgestorbenen Glieder mehr sehen kann«, fuhr Johannes fort und rollte die Ärmel seines weißen Hemdes zurück, ehe er sich an Luzia wandte.
»Darf ich dich zu einem Spaziergang einladen? Die Tage werden schon wieder kürzer und ich dachte …«
»Das ist eine ausgezeichnete Idee«, fiel ihm der Apotheker ins Wort und rieb sich die Hände an seiner Leinenschürze trocken. »Geht! Das bisschen hier«, sagte er und deutete auf den mit allerlei Gläsern und anderen Gefäßen beladenen Tisch, »schaffe ich auch allein.«
Luzia war skeptisch, denn vor nicht einmal einer Stunde hatte er genau das Gegenteil behauptet und sie für das Mischen der Medizin um Hilfe gebeten. »Aber ich dachte …«
»Nichts da! Keine Widerrede, schließlich bin ich kein kleiner
Junge mehr«, sagte er und scheuchte die beiden mit wedelnden Handbewegungen aus seiner Apotheke.
Während Luzia an Johannes’ Seite die Apotheke verließ, verkündeten die Glocken der Liebfrauenkirche die Stunde der Vesper. Ihr Blick streifte seine elegante Gestalt, und seine kühne Haltung forderte einmal mehr ihre Bewunderung. Seit Johannes sie vor einiger Zeit am See gefragt hatte, ob sie ihr Leben an seiner Seite verbringen wolle, konnte sie ihr Glück kaum fassen, dass sie schon bald seine Frau sein würde. Selbst wenn die Umstände alles andere als günstig waren, wurde Luzia stets aufs Neue von einer hellen Woge des Glücks erfasst, wenn sie daran dachte. Die Gewissheit, diesen wunderbaren Mann lieben zu dürfen, streichelte selbst in der dunkelsten Stunde wie ein heiterer Sonnenstrahl ihr Herz. Dann fegte ein einziger Hauch seines Atems jede Kümmernis und alle Last hinweg. Allein bei Johannes’ Anblick wurde ihr heiß, und wenn sie an seinen gestrigen Kuss dachte, überlief sie ein wohliges Zittern. Fordernd und doch zart hatte er ihren warmen, feuchten Mund erkundet, während seine Hände einen glühenden Pfad auf ihrem Rücken über ihren Nacken bis hin zu der kleinen Vertiefung ihres Schlüsselbeins hinterlassen hatten. Als er die zarte Stelle an ihrem Hals geküsst hatte, unter der das warme Blut ganz nah vom steten Strom des Lebens erzählte, war ihr ganzes Sein von einem heißen, nie gekannten Verlangen erfüllt gewesen. Selbst beim bloßen Gedanken daran röteten sich Luzias Wangen. Nie zuvor war sie den verzehrenden Flammen seiner Leidenschaft so nahe gekommen und hatte die eigene heiße Begierde so tief in sich gespürt …
»Hast du einen besonderen Wunsch, oder sollen wir ein wenig Landluft schnuppern?«, fragte Johannes und drückte zärtlich ihre Hand, weil gerade niemand zu sehen war.
»Ja, lass uns ein wenig durch den Wald gehen, vielleicht finden wir schon die ersten reifen
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