Seelenfeuer
Haltung sagt mir, dass Euch der Eure abhandengekommen ist!«, spie Johannes aus. Er legte Luzia seinen Arm um die Hüfte und zog sie mit sich. Wie eine leblose Puppe ließ sie alles mit sich geschehen. Sie wollte nur noch all den Menschen, die sich bereits neugierig nach ihnen umdrehten und ihre Hälse reckten, entkommen.
»Es tut mir leid, und wenn ich könnte …«, rief Weidacher ihnen nach.
Johannes schüttelte den Kopf und maß den Wachmann mit einem geringschätzigen Blick.
»Weidacher! Irgendwann werdet Ihr Euch entscheiden müssen, auf welcher Seite Ihr steht. Momentan ist es jedenfalls die falsche!«, gab er ungerührt zurück und ließ Michel stehen.
Ein paar Schaulustige begannen zu tuscheln.
»Gibt es ein Problem?« Johannes’ Erscheinung hatte jede Wärme verloren, als er in die Augen der Umstehenden blickte und wartete, bis auch der letzte seine Lider gesenkt hatte. Erst dann lenkte er Luzia zu einem kleinen Mauervorsprung, wo sie sich setzen konnte.
»Dieser Heinrich Kramer macht mir entsetzliche Angst«, flüsterte Luzia, aus deren Lippen jede Farbe gewichen war.
Johannes nickte und streichelte zärtlich über ihr Haar. »Ich werde später noch zum Bürgermeister gehen, dann werden wir ja sehen.«
Luzia glaubte nicht, dass irgendjemand in der Stadt zu ihr halten würde und Johannes’ Bemühungen Erfolg versprachen. Dennoch tat es unendlich gut, ihn an ihrer Seite zu wissen.
»Es muss etwas mit diesem Anschlag zu tun haben«, flüsterte sie nach einer Weile tonlos, ehe sie sich erhob.
Vor dem Rathaus standen nur noch ein paar Ravensburger zusammen vor dem Aushang. Als sie sahen, wer sich da näherte, bekreuzigten sie sich hastig und zerstreuten sich. Mit bebenden Lippen las Luzia. » Summis desiderantes affectibus …«, »In unserem sehnlichsten Wunsche …«
»Papst Innozenz erkennt mit dieser Urkunde die Existenz der Hexen an und beauftragt Heinrich Kramer damit, die Unholdinnen ausfindig zu machen und nach eigenem Gutdünken zu bestrafen!«
Johannes von der Wehr war so erregt, dass er die Worte kaum über die Lippen brachte.
Luzia war sofort in ihr Zimmer gegangen, nachdem er sie nach Hause gebracht hatte. Basilius hatte nach ihr gesehen, sie hatte vor Angst geradezu gezittert. Er hatte ihr Baldriantinktur und Melissentee verabreicht, damit sie wenigstens etwas Ruhe fand. Jetzt saß er mit Johannes vor dem Feuer und ließ sich alles berichten.
»Rom ermächtigt Heinrich Kramer, bei der Wahrheitsfindung wie beim Festlegen des Strafmaßes nach eigenem Gutdünken zu verfahren. Und zu allem Überfluss stellt Papst Innozenz ihm auch noch Eusebius Grumper als Notar der Inquisition zur Seite.«
Basilius erschrak bis ins Mark. »Grumper? Aber das ist doch Wahnsinn! Er hasst Luzia schon, seit sie ein Kind ist.«
Erschöpft lehnte Johannes sich zurück. Allein der Gedanke, dass Luzia den rohen Blicken und schmutzigen Fragen von
Kramer und Grumper ausgeliefert sein könnte, machte ihn rasend. Und dabei brauchte er gerade jetzt einen kühlen Kopf.
Luzia war ein Geschenk des Himmels. Erst sie hatte sein Herz zum Leben erweckt und seiner Seele Atem eingehaucht. Bei allem, was ihm heilig war, er würde sie mit seinem Leben schützen.
»Was sollen wir jetzt tun?«, fragte Johannes und begann unruhig auf und ab zu gehen.
Basilius schüttelte nur sorgenvoll den Kopf.
Zur Frühmesse trafen sich die Menschen in der Liebfrauenkirche. Ein Ausscheller hatte bereits mehrfach gemahnt, die Messe nur ja nicht zu versäumen. Dazu war der Gemeindeknecht unter dem schrillen Gebimmel seiner Glocke laut rufend durch Ravensburgs Straßen gezogen und hatte verkündet, Heinrich Kramer predige und erwarte die ganze Gemeinde. Als Grund für ein Nichterscheinen lasse Institoris allenfalls den Tod gelten. Die Lebenden erwarte er pünktlich zur siebten Stunde vor dem Mittagsläuten in der Kirche.
Dicht an dicht knieten die Ravensburger in den Bänken. Weil der Platz nicht ausreichte, waren viele gezwungen, mit dem nackten Boden vorliebzunehmen. Bald knieten die Menschen auch im Mittelgang und in den seitlichen Gängen, die zum Altar führten.
Luzia, die von Basilius und Johannes begleitet wurde, betrat das düstere Kirchenschiff als eine der Letzten, ehe die Tore geschlossen wurden. In den vergangenen Tagen war Johannes, wann immer es seine Zeit zugelassen hatte, in die Marktstraße gekommen. Er war kaum von ihrer Seite gewichen, und bevor der Messner sie jetzt am Portal trennte, um
Luzia nach
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