Seelenfeuer
bald den moosbewachsenen Weg, der sie durch den kleinen Riedwald bis ans Ufer des Bodensees führte. Erdig, feucht, fast ein wenig saftig roch das Moos in der warmen Sommernacht. Sie folgten der in großen Schwüngen verlaufenden Seefelder-Ache. Den murmelnden Bach säumten viele knorrige Weiden. In der Dämmerung wirkten sie wie alte, weise, ehrwürdige Weiber, wie silberweiße, lichtgrüne Nebelfrauen. Luzia liebte die riesigen Bäume, deren weit hinabhängenden Äste teilweise den kleinen Fluss berührten, als würden sie ihn sanft streicheln. Sonst war es zwischen den alten Bäumen einsam und still, aber heute trug der milde Abendwind neben dem Duft von Seegras auch die Stimmen der jungen Leute herüber. In einem Halbrund öffneten sich die Bäume zum Ufer des Bodensees. Zusammen mit der gewaltigen Landzunge, die weit in den See hinausragte, entstand ein großer, fast runder Platz. Die untere Grenze bildete das Wasser.
Hier am Ufer des Sees war Perchta, die uralte Erdenmutter, noch immer allgegenwärtig. Aus jedem Stein, jedem Tropfen
Wasser, ja selbst aus der prickelnden Abendluft strahlte ihre Anwesenheit und verzauberte die Menschen.
Als sie den Platz erreichten, sahen sie, dass die Burschen des Dorfes bereits das Feuerholz aufgeschichtet hatten. Sie standen um den riesigen Holzstoß herum, und mit ihnen die jungen Frauen des Dorfes, die wie Luzia und Magdalena einen Teil ihrer Johannisbuschen zum Kranz gewunden im Haar trugen. Die duftenden, bunten Sommerblumen schmückten die Frauen wie eine Sommerbraut oder eine Korngöttin. Fast alle trugen ihr Haar offen und hatten sich in ihre schönsten Gewänder gekleidet.
»Ich kann Hans gar nicht entdecken. Er wird doch heute Abend kommen?«, fragte Luzia.
Magdalenas Blick war schwer zu deuten.
»Ich weiß doch, dass er dir gefällt«, ermutigte Luzia die Freundin.
»Ich hätte doch lieber das rote Kleid wählen sollen. Oder meinst du, ich gefalle ihm auch in diesem blauen, alten Lumpen?«, fragte Magdalena zögernd. Sie wirkte plötzlich unsicher, obwohl es dafür überhaupt keinen Grund gab. Dennoch wusste Luzia, dass Magdalena sich ihrer Zähne schämte. Erst kürzlich musste sie der Bader wieder um einen Eckzahn erleichtern. Seither lachte Magdalena nicht mehr so gerne. Luzia fand das sehr schade.
»Mach dir nicht so viele Gedanken! Natürlich wird dich Hans schön finden! Sieh doch nur dein wunderschönes Haar!«
Magdalenas Arme legten sich um Luzias Mitte, und sie fand sich in einer stürmischen Umarmung wieder. Sie spürte Magdalenas Glück und die Ungeduld, mit der sie sich nach Hans umsah. Luzia konnte die Aufregung ihrer Freundin nur
halb nachvollziehen. Sie war anders. Sie legte keinen Wert darauf, den jungen Männern aus dem Dorf den Kopf zu verdrehen.
Nach und nach trafen immer mehr junge Männer und Frauen beim großen Festplatz auf der Landzunge ein. Traditionell bestand das Holz für die Sonnwendfeier aus neunerlei unterschiedlichen Sorten: Eiche, Birke, Erle, Esche, Holunder, Ahorn, Weißdorn, Schwarzdorn und Weide wurden von einem jungen Paar entzündet. In diesem Jahr war die Wahl auf Josef, den jungen Schuster, und seine zukünftige Frau, Elisa, gefallen.
Bald brannte ein großes Sonnwendfeuer. Zweige knisterten und Funken stoben in die samtblaue Nacht. Der Mohrenwirt war mit seinem Karren von der Langen Gasse, wo sein Wirtshaus stand, bis ans Ufer des Sees gekommen. Unter den Bäumen hatte er seinen Stand aufgebaut und schenkte heißen Met aus. Luzia schaute ins Feuer. Glühend schossen die hellen Zungen weit in den Nachthimmel. Heute Nacht waren die Tore zur Anderswelt weit geöffnet. Dicht über der Wasseroberfläche schwebten silberne Schleier. Eine leichte Bö trug das leise Lachen der Wassergeister bis auf die Landzunge.
An eine Weide gelehnt verfolgte Matthias, wie Luzia ein wenig abseits des Feuers barfuß und mit gerafften Röcken im Wasser stand. Er schaute ihr schon eine ganze Weile zu, wie sie tief in Gedanken versunken auf den See hinaus blickte. Sie verzauberte ihn, so wie sie es immer tat. Es fiel ihm schwer, sich von ihrem Anblick zu lösen. Das silberne Licht des Mondes tanzte wie eine geheimnisvolle Brücke aus Feenhaar über dem nachtschwarzen See. Mondschein und Feuer hüllten Luzia in einen Mantel aus Licht, das sich im Wasser
zu ihren Füßen spiegelte. Wie gerne hätte Matthias mit dem Licht getauscht. Aber Luzia ließ ihn nie richtig an sich heran.
Einen Augenblick hielt Luzia inne, um dem tiefen Herzschlag
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