Seelenfeuer
Tor hinaus, wo sie noch in derselben Stunde in einem Gemeinschaftsgrab verscharrt wurden.
Gleich nachdem bekannt wurde, dass die Schussenstadt von der Pest heimgesucht wurde, verkündete Heinrich Kramer, genau wie Johannes es vorausgesagt hatte, dass die Pest eine von Gott geschickte Strafe sei. Er mahnte die Bevölkerung, ihre Seelen durch strenges Fasten und Beten zu läutern.
Am Tag des heiligen Michael erschienen Schwarzenberger und ein weiterer Wachmann noch vor dem Mittagsläuten im Kerker. Zu zweit banden sie Brigitta Lanzner und Franziska Egolf mit Stricken und trieben sie unter Rutenschlägen zum Holzmarkt.
Bis zuletzt hatten sich Luzia und die beiden Frauen an den Händen gehalten und gemeinsam gebetet. Nachdem die letzten Schritte der beiden Frauen verklungen waren, fühlte sich Luzia so einsam wie schon lange nicht mehr. Die Tränen, die seit geraumer Zeit hinter ihren Augäpfeln brannten, fanden endlich ihren Weg. Das Entsetzen griff nach ihrem Herzen und zerschmetterte es an der Wand. Luzia wusste, dass auch ihre Tage gezählt waren. Schon so oft war sie kurz davor gewesen, all die Taten zu gestehen, die sie bereits weit über hundertmal abgestritten hatte. Doch irgendwann würde die Inquisition gewinnen, und dann würde die Mühsal enden, die bereits in ihrer Kindheit begonnen hatte. Heinrich Kramer und Kaplan Grumper würden siegen, während sie die letzte Schlacht verlieren würde …
Ein Priester vom Kloster zu Altdorf hatte Brigitta und Franziska die letzte Beichte abgenommen. Jetzt standen sie Rücken an Rücken, mit dicken Eisenketten umwunden, an einem Pfahl und konnten sich nicht mehr rühren. Der brennende Schmerz überstieg alles, was die Frauen je gefühlt hatten, und sorgte dafür, dass sich ihre Haltung, die sich die beiden bis zuletzt bewahrt hatten, buchstäblich in Rauch auflöste. Brigitta schrie bereits seit einer gefühlten Ewigkeit. Aus Franziskas Mund drang ein verzweifeltes Wimmern. Dazwischen betete sie laut ein Ave-Maria, dann begann auch sie zu schreien. Die Flammen leckten bereits an ihren nackten Beinen und hatten ihre Haut mit großen Brandblasen überzogen. Bald begannen die Füße der Frauen, einem eigenartigen Rhythmus folgend, zu zucken und wild um sich zu schlagen.
»Seht, jetzt beginnen die Hexen ihren letzten Tanz!«, rief Heinrich Kramer, der das grausige Schauspiel neben Kaplan Grumper von einem grobgezimmerten Podest aus verfolgte. Der Notar nickte zustimmend.
Johannes bahnte sich, aus der Judengasse kommend, seinen Weg zwischen den Schaulustigen hindurch. Ihren letzten Tanz!, dachte er erbittert. Im Vorbeigehen warf er Kramer und seinem Notar einen finsteren Blick zu. Wie gern er den Schergen der Inquisition den Hals umdrehen würde. Zum Teufel mit euch! Ich hasse euch mehr als alles andere!, dachte er voller Abscheu und kämpfte sich weiter durch die dichtgedrängten Menschenleiber, die sich nicht einmal durch die Pest an ihrer Schaulust hindern ließen.
Die Schreie der Frauen hallten über den Platz und fingen sich in hohlen Gassen und offenen Scheunen. Ihre Stimmen klangen durchdringend und schaurig. Sie klagten und weinten
über das laute Tosen der Flammen hinweg und wurden doch nicht erhört. Die unkontrollierten Zuckungen steigerten sich irgendwann ins Groteske, denn unter der geschwärzten Haut kochte das Blut bereits und trieb die Gliedmaßen in ein wildes Beben.
Einen ungünstigeren Zeitpunkt für seine Rückkehr in die Frauengasse hätte Johannes nicht wählen können, doch in der Turmstraße hatte man ihn zu einem Kranken gerufen.
Er hätte seine Ohren gern vor den entsetzlichen Schreien und dem Rasseln der Ketten verschlossen, doch sie waren über das Brüllen der Flammen hinweg zu hören. Johannes mühte sich, seinen Blick stur auf den Weg zu richten, doch die unmenschlichen Schreie der beiden Frauen, deren Fleisch langsam von den Knochen brannte, drangen ihm durch Mark und Bein. »Großer Gott, ich muss zu Luzia!«, flüsterte er. Ihm war, als stünde sie in den Flammen des Scheiterhaufens.
Ein paar Frauen bekreuzigten sich und knieten auf der Erde. Manche weinten, vielleicht auch nur des dichten Qualms wegen, der den ganzen Platz erfüllt hatte. Alle, die der schwarze Tod noch nicht dahingerafft hatte, waren gekommen, um zu sehen, wie die beiden Hexen brannten. Ein solches Spektakel gab es selten genug. Junge und Alte standen nebeneinander und starrten gebannt in die Flammen. Die Gewissheit, dass es den Hexen dort oben in ihrer
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