Seelenfeuer
Teufel ist mir nie begegnet«, flüsterte Luzia schwach. Seit Tagen erbrach sie unter Krämpfen nur noch bittere, grüne Galle. Ihr Mund und ihre Lippen fühlten sich an, als wären sie aus altem Pergament.
»Zieh die Hexe auf und befestige die Gewichte an ihren Füßen!«, befahl Eusebius Grumper dem Henker ungerührt. Mittlerweile führte er einen großen Teil der Verhandlung selbst.
»Herr Notar, es liegt mir fern, Euch in irgendeiner Weise zu kritisieren, aber …«
»Dann tut es nicht!«, schnitt Grumper dem Bürgermeister das Wort ab und fixierte Ettenhofer, bis dieser schließlich seinen Blick abwendete. Erst dann bedeutete er dem Henker fortzufahren.
»Ich dachte nur, am Ende haben wir uns in der Gassnerin getäuscht und sie ist …«, dachte Ettenhofer laut.
Der Ammann nickte zu seinen Worten. Auch er glaubte schon lange nicht mehr an die Schuld der Hebamme.
Wie ein Greifvogel schoss der Kaplan auf den Tisch zu, hinter dem die beiden saßen, und beugte sich mit glühenden Augen über ihre Köpfe.
»Schweigt!«, schrie Grumper wütend. »Ettenhofer! Ihr tätet besser daran, Eure Zunge zu hüten. Außerdem solltet Ihr das Denken jenen überlassen, die etwas davon verstehen!«
Der Bürgermeister musste sich abwenden, als der Henker der Hebamme, die in sich zusammengesunken auf dem Schemel kauerte, das zerrissene Hemd über den Kopf zog. Im Anschluss fesselte er mit versteinertem Gesicht der nackten Frau die Arme auf den Rücken und zog ihre zerbrechliche Gestalt mittels Seilzug einen halben Meter in die Höhe. Als er die Steine an ihre Füße hängte, stöhnte Luzia auf.
Wehmütig dachte Ettenhofer an die herrlichen Rundungen, welche die Gassnerin einst ausgemacht hatten. Bei Gott, jetzt war die schöne Frau bis auf die Knochen abgemagert und ihre helle Haut, die ihn immer an frische duftende Sahne erinnert hatte, bedeckte ein grausames Muster, das aus blutverkrusteten Striemen und bizarren Kreuzen bestand. Kramer hatte dem Henker befohlen, die Zeichen mit einem geweihten Messer in Luzias Haut zu schneiden. Jeden Tag lebte Ettenhofer in der Hoffnung, die Hebamme möge endlich gestehen, was Kaplan Grumper oder Bruder Heinrich ihr vorwarfen. Dann erst würde dieses nervenaufreibende Drama ein Ende finden. Wenn er daran dachte, wie schnell die beiden anderen Weiber alles zugegeben hatten, was Institoris ihnen in den Mund gelegt hatte.
Eine Welle der Übelkeit krampfte Ettenhofers Magen zusammen,
als er sah, wie Grumper zuerst einen Schluck Wein trank und sich genussvoll eine Honigdattel in den Mund schob, ehe er mit einer dünnen, biegsamen Rute beinahe zärtlich über Luzias Brüste und ihren eingefallenen Bauch strich.
»Sag es! Ich will es hören: Ja, ich bin eine Hexe. Ja, ich habe das Wetter gemacht und die Kinder getötet. Sag es!«, befahl Grumper ungerührt.
»Nein!«, schrie Luzia, und in diesem Schrei schien sich alle Qual der Welt zu vereinen.
Wenige Augenblicke später sauste die Gerte auf Luzias Brüste und brannte neue grausame Muster auf ihr gemartertes Fleisch. Mit grimmiger Miene rollte Kaplan Grumper die Ärmel seines dunklen Gewandes auf und gab dem Henker ein Zeichen, fortzufahren. Nach zwei weiteren Schlägen sank Luzias Kopf auf die Brust.
»Lass die Hexe herunter!«, befahl Heinrich Kramer scharf. Die Gassnerin durfte unter keinen Umständen unter der Tortur sterben. Er wollte ihre Beichte, und Ravensburg brauchte dieses Geständnis! Es konnte nicht angehen, dass ein derart verdächtigtes Weib sich am Ende als unschuldig erwies.
Als Luzia wieder zu sich kam, war Grumpers Gesicht dicht vor ihrem.
»Wie sieht der Teufel aus, und wie oft hast du es mit ihm getrieben? Und wann hast du dich das erste Mal in eine Katze verwandelt?«
Luzia kauerte auf ihrem winzigen Bänkchen und rang mit der Ohnmacht, die ihren ausgebrannten Leib vor weiteren Qualen bewahren wollte. Seit zwölf Tagen saß sie nun im Kerker und kämpfte gegen die Klauen der Inquisition. Manchmal
nahm ihr der Schmerz alle Kraft, dann rauschte ihr das Blut in den Ohren, und sie hoffte auf den Tod.
Doch Nacht für Nacht öffnete Johannes die schweren Ketten um ihre Fußgelenke und befreite sie aus dem Gefängnis des Schmerzes. Dann lag sie in der feuchten Kälte des Kerkers und hörte sein Herz schlagen. Es klang wie der endlose Rhythmus der Zeit und setzte sich über alle Grenzen hinweg. Heilend legte sich die Erinnerung an ihn auf ihre Wunden und wiegte sie schützend in den Schlaf. Im Traum begegneten sich
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