Seelenfeuer
glimmenden Kohlebecken ging und ein kleines silbernes Kreuz in die Glut legte. So viel stand fest, noch immer lag der Schweigezauber des Teufels auf der Gassnerin. Solange dieser machtvolle Bann bestand, durfte sie nicht gestehen. Doch jetzt würde er den bocksbeinigen Höllenfürsten mit seinen eigenen Waffen schlagen. Er befeuchtete ein Stück Leinen, fischte mit ihm das glühendheiße Silber aus den Kohlen und umwand es locker mit dem Stoff. Die enorme Hitze, die von dem Kreuz ausging, fühlte Kramer durch das feste Leinengewebe. Er hoffte inständig, es möge sich nicht entzünden. Jetzt war es an der Zeit, den Ravensburger Tölpeln endgültig zu zeigen, was Macht bedeutete.
»Lasst uns das jetzt beenden!«, befahl Kramer knapp und schob Grumper in die Folterkammer zurück.
Grumper bemühte sich um Haltung und zeigte fast wieder die alte Überlegenheit, die er so gern zur Schau trug. In Wahrheit saß ihm aber noch immer die Furcht im Nacken, und das Ringen um Gleichmut zeigte ihm seine Grenzen auf. Er warf einen scheuen Blick auf Luzia, die ihn offen ansah. Natürlich wusste er, dass die Hexe ihm nichts anhaben konnte, solange er geweihtes Salz in den Taschen trug und sich mit seinem silbernen Kreuz schützte. Doch ihr Fluch hallte noch immer in seinem Kopf.
Heinrich Kramer trat vor Luzia und besprengte sie mit Weihwasser. Ettenhofer und Jost saßen hinter seinem Rücken und konnten nicht wirklich sehen, was er tat. Kramer legte
das glühend heiße Kreuz frei, das ihm durch den Stoff hindurch bereits eine rote brennende Stelle beschert hatte, und drückte das heiße Metall auf Luzias Brust. Sie schrie auf und wollte zurückweichen, aber Kramer hatte ihren Nacken fest im Griff und ließ nicht locker. Ein leises Zischen war zu hören, und ihre Brust brannte, als stünde sie in Flammen. Dann ließ Kramer sie abrupt los und ließ das Leinen in seine weiten Ärmel gleiten. Luzia fiel rückwärts auf den Boden. Das Kreuz hatte sich rot und gut sichtbar in ihre Haut gebrannt.
»Seht her, das geweihte Silberkreuz hat die Hexe gezeichnet, auf dass wir uns nicht vom rechten Weg abbringen lassen!«, rief er siegessicher.
Die Zeugen reckten ihre Hälse und erkannten die Rötung auf Luzias Brust.
»Schaut Euch das Zeichen genau an!«, verlangte Kramer, während der Henker die Angeklagte wieder auf ihren Hocker setzte. »Herr Notar, bitte vermerkt in den Akten: Das heilige Kreuz hat im Beisein der Zeugen Ettenhofer und Jost die Hebamme Luzia Gassner als Hexe enttarnt. Des Weiteren hat sie dem Teufel abgeschworen und war in allen Punkten der Anklage geständig.«
»Wann das? Bei Gott, ich habe nicht das Geringste gehört«, entfuhr es Ettenhofer. Auch der Ammann schüttelte verwundert den Kopf.
»Dann liegt wohl der Verdacht nahe, dass Ihr mit offenen Augen geschlafen habt. Bleibt nur zu hoffen, dass Euer Urteilsvermögen bei Euch zuhause ein Besseres ist, sonst lebt die nächste Hexe am Ende unter Eurem Dach. Mir war so, als habe die Gassnerin die Namen Eurer Weiber erwähnt!«
Während Kramer das sagte, blieb sein Gesicht völlig reglos und eiskalt.
Ettenhofer und Jost sahen sich kurz an. In ihren Augen zeigte sich Todesangst.
»Herr Notar, bitte schreibt, dass wir die Hebamme Luzia Gassner nun dem weltlichen Gericht überantworten, auf dass die Hexe vom Leben zum Tode durch Verbrennen gerichtet werden soll!«
Grumper schrieb und reichte Jost Amman die Feder und das Tintenfass. Mit zitternder Hand unterschrieb der Ammann als Vertreter für den Kaiser Luzias Todesurteil und reichte das Pergament an Ettenhofer weiter. Dann unterzeichneten Doktor Heinrich Kramer und der Notar der heiligen Inquisition. Als alle ihre Namen auf das Dokument gesetzt hatten, wurde das Schreiben durch die Plombe des päpstlichen Untersuchungsgerichts und das Siegel der Stadt Ravensburg beglaubigt.
24
A ls Johannes in die Herrengasse einbog, erkannte er Eppo, den jungen Knecht aus dem Hause Friko Hofmeisters. Mit angespannter Miene marschierte er unablässig vor dem Anwesen des Doktors auf und ab.
»Gott zum Gruße!«, rief der einfach gekleidete Mann, als er Johannes heranreiten sah. »Herr Medicus, der Herr schickt mich, weil er befürchtet, seine Frau habe die Pest. Ob Ihr wohl nach ihr sehen könnt?«
Johannes nickte. Er wendete sein Pferd und folgte dem Mann, wie er es in den letzten Tagen oft getan hatte. Unterwegs trafen sie auf die Pestknechte, die im Auftrag der Stadt den vollbeladenen Karren in Richtung der Stadttore lenkten.
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