Seelenfeuer
getreten?«, fragte Matthias und klemmte seine Locken hinters Ohr.
Luzia schüttelte den Kopf. »Nein, Mutter glaubte, dass ich nicht zur Hebamme tauge. Die Herbstkatze – du erinnerst dich?«
Matthias sah die Trauer in ihren blauen Augen.
»Sie wollte mich als Magd auf einen großen Hof schicken. Hauptsache, aus den Augen. Doch ich wollte schon immer den Frauen in ihrer schwersten Stunde beistehen.«
Matthias nickte verständnisvoll. »Ich weiß, was du meinst. Mutter erzählt oft, dass ich bereits mit einem Schmiedehammer in der Hand zur Welt gekommen bin. Und es stimmt, seit ich mich erinnere, wollte ich Schmied werden. Mit Feuer und Wasser die Unbeugsamkeit des Eisens bezwingen. Ihm eine neue Form verleihen. An der Esse gelten andere Gesetze und manchmal scheint die Eisenschmelze fast wie Magie!«
Er bemerkte Luzias forschenden Blick und wurde über und über rot.
»Ich glaube, wir sollten uns langsam sputen, die Stadttore bleiben nicht die ganze Nacht offen«, sagte er schnell und trieb die Ochsen mit dem Stock an.
Nachdem sie eine Weile schweigend gefahren waren, räusperte sich Matthias umständlich. »Selbst wenn ich mir Mühe gebe, kann ich mir deine Mutter beim besten Willen nicht vorstellen. Was ich damit sagen will … Elisabeth kenne ich seit dem Tag meiner Geburt. Sie ist eine Seele von Mensch. Deinen Onkel, den Apotheker, wie heißt er gleich …?«
»Basilius«, half ihm Luzia.
Matthias nickte. »… Basilius kenne ich von seinen Besuchen in Seefelden, auch er scheint ein guter Mensch zu sein. Doch wie soll ich mir eine Frau vorstellen, die …, die so wenig Herz hatte?«
Luzias Blick wurde hart. »Ja, da hast du wohl recht. Herz hatte sie wahrhaftig keins. Doch dafür war sie schön und von den Männern begehrt. Wenn sie ihr weizenblondes Haar offen trug, reichte es ihr lang und seidig bis zur Hüfte. Ich kenne niemanden, der sie nicht schön gefunden hätte. Nur ihr Herz war aus Stein. Ich erinnere mich an die junge Gisla, sie wohnte am anderen Ende der Stadt. Unverheiratet und guter Hoffnung, wie man so schön sagt. In ihrer Verzweiflung versuchte sie, ihre Schwangerschaft zu beenden und das Kind in ihrem Leib zu töten. Gisla kam in der Nacht zu meiner Mutter. Sie war voller Blut, ihr Kleid, ihre Schuhe. Es rann ihr die Beine hinab. Ich weiß nicht, was sie genommen oder ihrem Leib angetan hatte. Jedenfalls hatte sie sich in der Hoffnung auf Mutters Hilfe mit letzter Kraft zu unserem Haus geschleppt.«
Luzia sah, wie sich Matthias’ Blick verdunkelte.
Männer konnten sich im Allgemeinen nicht vorstellen, zu welch schrecklichen Mitteln manche Frauen griffen, um eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden. Aber was blieb ihnen schon anderes übrig? Die eigenen Väter saßen ihnen im Nacken, die Väter der Kinder leugneten jede Schuld, die Gemeinde schmähte sie. Und die Kirche brandmarkte die ledigen Mütter als Sünderinnen.
»Außer einem Leinen gab Mutter Gisla nichts. Dafür empfahl sie ihr zu beten, dass die Blutung zum Stillstand kommen möge, damit niemand Verdacht schöpfte. Stell dir das einmal vor! Schließlich war Mutter Hebamme!« Luzia merkte gar
nicht, wie ihre Worte immer lauter geworden waren. Erst Matthias’ Hand auf ihrem Arm ließ sie innehalten.
»Diese furchtbare Nacht werde ich wohl nie vergessen.«
Er nickte. »Was ich überhaupt nicht verstehe … nun, sie selbst war ja auch nicht verheiratet, als du zur Welt kamst, oder?«
Luzia nickte. »Dafür hat sie dann auch ein Leben lang gebüßt. Nie mehr hat sie auch nur einen Mann angeschaut. Der Pfarrer hat ihr einen Bußgürtel gegeben. Dieses mit scharfen Stacheln versehene Ding trug sie oft tagelang unter ihrem Kleid. Ihr Herz war einfach aus Eis und ihre Seele taub.«
»Was wurde dann aus Gisla?«, wollte Matthias wissen.
»Mutter schickte sie nach Hause. Gislas Vater entdeckte die blutgetränkten Laken, daraufhin schleppte er seine Tochter zum Pfarrer. Zuerst veranlasste der heilige Mann, dass die junge Frau an den Pranger musste, anschließend trieben sie die Büttel mit Ruten durch die Stadt.« Luzia machte eine lange Pause. »Ein paar Tage später zog man Gislas Leichnam aus der Schussen. Als Selbstmörderin hat man ihr sogar ein Begräbnis in geweihter Erde verweigert. Mutter war sich keiner Schuld bewusst, für sie kam die Entscheidung von Gott.«
Matthias’ Blick verriet mehr, als er sagen konnte. Doch insgeheim fragte auch er sich, warum sich Gisla diesem Mann so leichtfertig hingegeben
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