Seelenfeuer
Ein schmales Gesicht. Sein schulterlanges, einst dunkles Haar war mittlerweile von vielen grauen Strähnen durchsetzt: Eusebius Grumper.
»Ich … nein, ich meine, ja. Ja, sie …« Luzias Stimme brach. Völlig erstarrt stand sie da. Nach Atem ringend, blickte sie
schnell wieder ins Becken. Suchte Halt bei den glitzernden Leibern der Seebewohner.
»Wie ich höre, willst du die neue Wehmutter der Stadt sein, dabei würdest du mit deinem Aussehen besser ins Hurenhaus passen. Grete hat mir von deinen zutiefst sündigen Handlungen berichtet.«
Seine Stimme zerschnitt Luzias Herz. Sie fühlte ihr Blut zu Eis erstarren.
»Willst du mich nicht wenigstens anständig grüßen und mir die Ehre erweisen, die mir gebührt? Oder hast du bei den Büffeln dort unten am See etwa die Sprache verloren?«, wollte Grumper wissen.
Luzia hob den Kopf und sah in seelenlose Augen. Sie konnte spüren, wie sein Blick ihre Brüste streifte. Ihre Wangen glühten vor Scham, schnell senkte sie ihren Blick wieder. Die Gänsehaut, die ihr wuchs, richtete jedes noch so kleine Härchen auf, das Gefühl war so unangenehm, dass es bereits an Schmerz grenzte. Jetzt trat er noch einen Schritt näher an sie heran. Der Geruch fast mitleiderregender Seelenkälte schlug ihr ins Gesicht.
»Wage nicht noch einmal, deine teuflischen Praktiken bei einem Weib dieser Stadt anzuwenden, sonst wird es dir schlecht bekommen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt? Oder brauchen meine Worte«, er sah auf seine kleine Hand, mit den schmalen Fingern, »wie in früheren Zeiten einen gewissen Nachdruck?«, fragte er kühl. »Unholdinnen und Zauberweiber brauchen wir in Ravensburg gewiss keine, wenn sich aber herausstellen sollte, dass sie bereits unter uns sind, ziehen wir das Buch Mose zurate.« Er zitierte: »Zauberinnen sollst du nicht leben lassen.« Die letzten Worte kamen Grumper
sehr leise und drohend über die Lippen und gruben sich in Luzias Herz. Sein Lächeln verstärkte jenen grausamen Zug, vor dem sich Luzia schon immer gefürchtet hatte.
Er wird mir nichts tun. Nicht hier zwischen all den Menschen, nicht inmitten dieses Trubels. Aber ein andermal, dessen war sie sich in diesem Augenblick gewiss.
»Nimm dich in Acht, ihn solltest du fürchten!« Das Flüstern kam aus dem Brunnen. Luzias Blick fand das rettende Nass.
»Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!« Grumpers kalte Hand schnellte nach vorn und schloss sich um ihren Arm. Sein Gesicht war jetzt ganz nah. Er zwang Luzia, seinem gierigen Blick standzuhalten. Wie in den eisernen Backen eines Schraubstocks gab es kein Entrinnen. Grumpers Blicke drangen durch ihr Kleid und verteilten ihren Geifer über ihren nackten Leib. Sein Hass und seine Gier rissen Luzia in einen Abgrund.
»Glaub mir, du wirst dir noch wünschen, nie geboren zu sein, schon sehr bald werden wir uns wiedersehen …«
Grumpers letzte Worte verloren sich in dem Schwindel, der Luzia gefangen hielt.
Als sie sich wieder gefasst hatte, war er nicht mehr da. Sie sah nur noch den schmalen Rücken, der in der Menge verschwand.
7
A ls es an diesem Abend noch spät an der Tür klopfte, machte Basilius nur höchst unwillige Anstalten, sich aus seinem mit Fellen gepolsterten Scherenstuhl zu erheben. Er hatte sich an die stillen Abende mit Luzia nur zu gern gewöhnt und glaubte ein Recht auf sie zu haben. Aber immer häufiger wurden die gemütlichen Plauderstunden gestört, weil eine schwangere Frau Luzias Hilfe brauchte.
»Warum bekommen die Frauen denn ihre Kinder nicht bei Tage, wie es sich gehört«, brummte er und stellte seinen Becher mit warmem Gewürzwein wieder ab.
»Bemüh dich nicht, ich gehe schon«, beschwichtigte ihn Luzia und eilte zur großen Vordertür. Schnell zog sie den Riegel zurück und öffnete die schwere Eichentür.
Michel Weidacher stand vor ihr. Mit der Hellebarde in der einen Hand, der Laterne in der anderen und dem bodenlangen Umhang der Stadtwache bekleidet, wirkte er Respekt einflößend und fast ein wenig bedrohlich.
Luzia erschrak. Michel Weidacher war der Verlobte von Nanne. Es war doch wohl nichts mit ihr?
»Jungfer Luzia, ich bitte um Entschuldigung, weil ich Euch
jetzt noch störe, aber Ihr seid meine letzte Hoffnung«, begann er.
Luzia erschrak und schnappte nach Luft. »Nanne ist doch nichts zugestoßen?«
Zu ihrer grenzenlosen Erleichterung sah Michel sie erst verständnislos an und schüttelte dann den Kopf.
»Nein, mit Nanne ist zum Glück alles in Ordnung. Es geht um etwas ganz
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