Seelenfeuer
Zierband, ich weiß
genau, dass du es sonst bereust«, entschied sie und versetzte Nanne einen freundschaftlichen Knuff.
»Mein Geld reicht aber nicht, vielleicht ein andermal«, erklärte sie. Die Badstube der Rösslers brachte gerade so viel Geld ein, um einigermaßen davon zu leben, viele Extrawünsche konnten sie sich nicht erfüllen.
»Wenn du nichts dagegen hast, möchte ich dir die Spitze gerne schenken«, sagte Luzia. »Bestimmt gefällt sie auch Michel«, fügte sie mit einem verschmitzten Lächeln hinzu. Natürlich hatte Nanne ihr längst erzählt, dass sie mit Michael Weidacher, einem Bediensteten der Stadtwache, verlobt war.
Nannes Augen leuchteten vor Freude. »Ist das dein Ernst?«, wollte sie ungläubig wissen.
Luzia nickte und sagte: »Nach all den Jahren, die uns getrennt haben, bist du mir immer noch eine so liebe Freundin, und ich möchte dir gern eine Freude machen.«
Gemeinsam liefen sie zurück zum Stand der alten Frau. Außer Atem verfielen sie in ein lautes Gekicher. Die alte Frau schüttelte den Kopf. Luzia und Nanne war das völlig gleichgültig.
»Vielen, vielen Dank«, sagte Nanne, nachdem sie das kostbare Stück behutsam in ihren Korb gelegt hatte. Luzia fand sich in einer stürmischen Umarmung wieder, die sie wie ein Schwarm bunter Schmetterlinge berührte.
»Luzia, ich weiß, du hast bereits eingekauft, aber wir erwarten heute Abend Besuch, und es wäre schön, wenn du uns dann einen Hammelbraten oder einen Hasen servieren würdest.«
»Wen erwartest du denn so überraschend?«
»Oswald, ein alter Freund, er kommt aus Konstanz. Morgen
zur achten Stunde erwartet ihn ein Schreiber im Kontor der Fernhandelsgesellschaft, deshalb wird er auch die Nacht in unserem Hause verbringen.«
Basilius überlegte, dann sagte er: »Fisch wäre noch besser. Sei so gut und geh noch einmal zum Markt, im Rathausbrunnen werden lebende Fische zum Kauf angeboten.«
»Lebende Fische aus dem See?«, fragte Luzia erstaunt.
Basilius nickte.
»Einige Ravensburger Bürger verlangen danach, und Oswald machst du eine große Freude, wenn du ihm einen Aal zubereitest. Er liebt Fisch über alles.«
Luzia nickte, obwohl sie alles andere als begeistert war, denn eigentlich hatte sie sich den Nachmittag anders vorgestellt. Nachdem sie Nanne nach Hause begleitet hatte, wollte sie noch Wäsche waschen und, vorausgesetzt, das Kind der Weißgerberin würde sich noch etwas gedulden, früh schlafen gehen.
Mit dem Weidenkorb am Arm eilte Luzia heute zum zweiten Mal auf den Markt. Der Fischmarkt um den Rathausbrunnen hatte sich bereits geleert. Als Luzia über den Rand des grauen Steinbeckens blickte, glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen. Im Wasser des Brunnens schwammen tatsächlich lebende Fische. Sie erkannte Bodenseefelchen, einen großen Hecht und einige schlangenförmige Aale. Sie alle brachten einen Hauch der alten Heimat mit. Bei dem Gedanken, dass jemand sie essen würde, zog es ihr das Herz zusammen. Selbstverständlich hatte sie immer Fisch gegessen, auch Felchen, Hecht oder Aal. Sie alle galten als ausgesprochene Köstlichkeiten. Beinahe fühlte Luzia die kühlen, klaren Fluten, in denen die silbernen Tiere bis vor kurzer Zeit schwimmen
durften. Sie sah das Wasser vor sich, wie es die Steine koste. Der Bodensee hatte eine Seele. Er atmete und lachte und tanzte und liebte und weinte. Behütet von gewaltigen Eisriesen. Wie achtunggebietende Wächter aus Kälte und Schnee ragten die erhabenen Gletscher aus Jahrtausende altem Eis in den Himmel. Mit einem Herz aus Kristall und einer Seele aus Mythen. Uralt und gleichzeitig immer neu und strahlend schön.
Langsam tauchte Luzia ihre Hand ins kühle Nass. Wie ein Handschuh aus längst vergangenen Tagen schmiegte sich das kalte Wasser an ihre Haut.
»Gefallen dir die Fische?«
Luzia fuhr herum.
»Ob dir die Fische gefallen, habe ich gefragt. Sie wecken sicher Erinnerungen an deine Zeit bei den Barbaren«, flüsterte jemand.
Bei Gott, diese Stimme raubte ihr fast die Sinne.
»Sieh sie dir an, ihre Leiber sind glitschig und kalt.«
Das kalte Flüstern mit den betonten Zischlauten würde Luzia unter allen Stimmen dieser Erde wiedererkennen. Angst schloss sich wie ein Band aus Eis um ihren Brustkorb und ließ ihren Atem stocken. Kalter Schweiß brach ihr aus und rann in einem salzigen Rinnsal zwischen ihre Schulterblätter. Sie hob den Blick, und da stand er. Kleingewachsen und schmalbrüstig. Für einen Mann eigentlich viel zu zart gebaut. Kühle Augen.
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