Seelenfeuer
Grete, an Luzia gewandt. »Ganz zu schweigen von all den Beschwörungen und Formeln, die du gemurmelt hast. Spätestens, wenn Kaplan Grumper von diesem Vorfall erfährt, wird dir das Lachen vergehen, das verspreche ich dir!«
Mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloss. Gretes Kälte verursachte Luzia eine Gänsehaut, und die Angst schloss sich mit eiserner Faust um ihr Herz.
»Gott sei mit Euch, Luzia«, flüsterte die Altmutter zum Abschied.
»Und mit Euch«, entgegnete Luzia leise.
Am 11. des Nebelmondes begingen die Menschen den St.-Martins-Tag. Martini galt als wichtiger Zahltag und jedes Jahr fand zu Martini ein kleiner Jahrmarkt statt. Luzia und Marianne Rössler wollten den Martinimarkt gemeinsam besuchen, um sich die Gaukler anzusehen und sich ein wenig zu vergnügen.
Zur Badstube der Rösslers nahm Luzia das schmale Gässchen zwischen den Häusern, das geradewegs zum Badehaus führte. Die Badestube war noch völlig leer. Gebadet wurde erst gegen Abend, wenn das Tagwerk getan war.
»Luzia, wie ich mich freue. Seit du wieder in Ravensburg bist, bin ich ein anderer Mensch«, versicherte Nanne und herzte die Freundin. »Komm, lass uns gehen, sonst überlegt es
sich Vater womöglich noch anders und ich darf dich doch nicht begleiten.«
»Ich freue mich auch. Wenn du nicht wärst, würde ich sicher gar nicht zum Markt gehen. Stell dir vor, jetzt bin ich schon seit zwei Monaten hier, doch über den Marktplatz hinaus bin ich ausschließlich zu einer Niederkunft gekommen«, entgegnete Luzia.
»Und wir haben uns nur so selten gesehen«, sagte Nanne und hakte sich bei Luzia unter. Gemeinsam schlenderten sie über den großen Platz, der mit all seinen bunten Ständen dazu einlud, den Alltag zu vergessen. Luzia hob den Kopf und erschnupperte über die Ausdünstungen der vielen ungewaschenen Menschen den Duft frisch gerösteter Maronen.
Die bunten Stände und Buden des Martinimarktes befanden sich zwischen dem Seelhaus und dem Lederhaus. Der Rossbach verlief hier, und weiter unten in der Gerberbachstraße befand sich das Hurenhaus. Überall drängten sich die Leute durch die Gassen und hielten für ein Schwätzchen an. Jeder, der einer Arbeit nachging und nicht vom Betteln leben musste, hatte heute seinen Lohn erhalten. Ein paar Angetrunkene torkelten ihnen bereits entgegen. Ihren zotigen Bemerkungen nach zu urteilen, hatten sie einen Großteil ihrer Entlohnung bereits in Branntwein gewechselt. Luzia und Nanne wichen ihnen geschickt aus. Bald holte sie der warme Duft von Esskastanien wieder ein. Er ließ Luzia das Wasser im Munde zusammenlaufen. Gemeinsam traten sie an einen Stand, wo ein alter Mann hinter dem eisernen Öfchen auf Kunden wartete. Mit einem Leinensäckchen voller Maroni schlenderten sie durch das laute Markttreiben. Obwohl sie sich an den heißen Schalen ihre Finger verbrannten, schmeckte
es ausgezeichnet. Nanne zog Luzia vor eine kleine Bühne. Die bunt gekleidete Truppe führte ein Schauspiel auf, in dem es um einen Geizigen ging, dem übel mitgespielt wurde. Beide lachten aus ganzem Herzen und amüsierten sich prächtig.
»Komm weiter«, sagte Nanne.
Sie blieben bei einer Bäuerin aus dem nahen Vorarlberg stehen. Andächtig glitten ihre Finger über fein gearbeitete Spitzenborten. »Luzia, sieh nur, was für eine wunderschöne Borte man hier kaufen kann.«
»Wohl, wohl, die habe ich allesamt selber gemacht«, sagte die kleine Frau aus dem Vorarlberg. Sie hatte das runzeligste Gesicht, das Luzia je gesehen hatte. Nanne war begeistert von der nicht ganz billigen Handarbeit.
»Die ist wirklich sehr schön«, bestätigte auch Luzia. »Für so eine hübsche Handarbeit braucht Ihr sicher ganz viel Zeit?«, wollte Luzia von der freundlichen Frau wissen.
»Wohl, wohl, der Winter im Bregenzer Wald ist lang und dunkel«, sagte die Vorarlbergerin lachend und entblößte ihren letzten Zahn. Die Freundinnen nickten.
»Ich würde die Borte an meinem Sonntagshemd anbringen. Weißt du, so.« Dabei zeigte Nanne auf ihr Hemd. »Selbstverständlich ist das gute Hemd noch etwas tiefer ausgeschnitten«, fügte sie schnell hinzu.
Luzia nickte. Auch ihr gefiel der schöne Besatz. Nanne überlegte hin und her, letztlich verabschiedeten sie sich von der alten Bäuerin, denn Nannes Münzen reichten heute nicht. Sie setzten ihren Gang zwischen den reichbeladenen Ständen fort und ließen sich von Gerüchen und Farben einfangen. Plötzlich blieb Luzia stehen.
»Wir drehen jetzt um und kaufen dieses
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