Seelenfeuer
der nächtlichen Liebfrauenkirche vorbei. Vom Grünen Turm, der zur Stadtbefestigung gehörte und in dem ein Teil des Gefängnisses untergebracht war, trennten sie nur noch wenige Schritte.
Michel klopfte.
»Wer da?«, kam die mürrische Antwort.
Angst durchfuhr Luzia, als sie die scharfe Stimme aus dem Inneren des wehrhaften Turmes erkannte. Kurz darauf hörte man das Ächzen von Metall, und Berthold Schwarzenberger öffnete die Tür. Bei seinem Anblick erstarrte Luzia. Sie hatte die Begegnung mit ihm an ihrem Ankunftstag in Ravensburg ganz bestimmt nicht vergessen und war froh gewesen, ihm seitdem nicht über den Weg gelaufen zu sein. Auch Schwarzenberger erkannte sie. Sie sah es beim Aufblitzen seiner Augen. Ohne es zu wollen, senkte Luzia den Blick und machte einen Schritt rückwärts. Sie bemerkte, wie Schwarzenberger sich an ihrer Angst weidete. Doch dann kehrte ihre Vernunft wieder. Sie wusste, heute konnte ihr Berthold nichts antun. Heute nicht. Heute hatte sie hier eine Aufgabe zu erfüllen, von der er sie nicht abhalten würde.
Rasch sah sie sich um. Die rußenden Pechfackeln in den
Wandhalterungen tauchten den kleinen Raum der Wachhabenden in ein gespenstisches Licht. Tisch und Stühle warfen schwarze Schatten an die Wände. An der Wand hinter Berthold sah sie eine eisenbeschlagene Tür. Dahinter musste die Treppe liegen, die zu den Verliesen hinunterführte und in der Gegenrichtung hinauf in die Folterkammern. Die Vorstellung jagte Luzia einen Schauer über den Rücken. Sie war noch nie hier gewesen, aber man erzählte sich einiges über das dunkle Verlies. Als sie auch noch einen gellenden Schrei aus den oberen Stockwerken vernahm, wurde ihr übel. Das laute Rasseln einer schweren Kette folgte, dann kehrte wieder Ruhe ein. Die fensterlosen Wände waren so dick, dass kein Laut nach außen drang. Sie strahlten eine Bedrohung aus, die Luzia fast zu Boden drückte. Ihr war, als würden die Wände atmen. Der Odem des Todes lähmte sie.
»Was willst du denn um diese Zeit im Kerker, und noch dazu mit diesem Weib?«, schnauzte Schwarzenberger und trat nach dem Stuhl. »Die Vögelin darf keinen Besuch bekommen, und die Chance auf eine Extraration Essen hat sie auch schon verwirkt«, schleuderte er ihnen ins Gesicht und bewegte sein Becken vor und zurück. »Wenn du verstehst, was ich meine«, sagte er, an Luzia gewandt, und grinste.
Angewidert senkte sie den Blick.
»Schwarzenberger, das ist Jungfer Gassner, die Hebamme.«
»Oh, wir kennen uns bereits«, schnitt ihm Berthold das Wort ab.
Luzia spürte, wie sich sein gieriger Blick zunächst in ihrem Haar verfing, um sich gleich darauf wie ein schmieriges Stück Seife über ihrem Leib zu verteilen. Sie sah die Narben, die ihr
Kater in seinem Gesicht hinterlassen hatte, aber sie konnte sich nicht darüber freuen.
»Wie ich dir bereits zu Mittag sagte, fürchte ich, die Gefangene liegt in den Wehen, also lass uns durch und mach keine Schwierigkeiten«, forderte Michel mit fester Stimme.
»Warum kommt Grete nicht?«, schnappte Schwarzenberger.
»Das weißt du ganz genau!« Als Michel Luzias fragenden Blick sah, fügte er hinzu: »Grete betritt den Kerker nicht. Sie hält ihn für einen gottlosen Ort. Und für eine ledige Mutter wie Berta kommt sie schon gar nicht.«
Schwarzenberger zog den Stuhl vor die Tür und setzte sich rittlings darauf. »Vergiss es, die Hure soll ihren Balg allein werfen! Und wenn sie dabei verreckt, spart sich der Henker schon die Arbeit!«
Es kostete Luzia alle Mühe, ihren Zorn zu unterdrücken, der ihr trotz der Angst vor diesem Mann in der Kehle brannte.
»Red keinen Dreck! Stell dir vor, das Kind stirbt, bevor es getauft wurde. Nimmst du das dann auf deine Kappe?«, wollte Michel wissen, während seine Stimme vor Abscheu zitterte.
»Das Kind gehört sowieso schon dem Teufel«, kicherte Schwarzenberger und lehnte sich gegen die Tür.
Luzia zog eines der Gewürzsäckchen aus ihrer Tasche. Die Worte dazu kamen ihr nur zögernd über die Lippen. Lieber hätte sie Schwarzenberger ins Gesicht gespuckt.
»Das ist Pfeffer. Teuer und kostbar zugleich. Er gehört Euch, wenn Ihr uns zu der Gefangenen lasst, und ein weiteres Säckchen soll Euch gehören, wenn Ihr uns das Kind mitnehmen lasst.«
Schwarzenberger dachte einen Augenblick nach. Gierig richtete sich sein Blick auf den Pfeffer in Luzias Hand. Verkaufen
lässt sich das Gewürz allemal, dachte er und rieb sich nachdenklich das Kinn. Und letztlich war es ihm völlig
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