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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Haller
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die halbe Nacht bei einer Frau zugebracht, die letztlich doch noch eine Fehlgeburt erlitten hatte. Manchmal gelang es auch Luzia nicht, das Unabwendbare aufzuhalten. Jetzt wollte sie sich wenigstens waschen und umziehen.
    Obwohl sie sich alle Mühe gab, ihr Haar zu bändigen, saßen ihr die roten Wellen wie eine Kappe aus Fuchspelz auf dem Kopf. Resigniert ließ sie den Hornkamm sinken und schob die Flechten unter eine einfache Spitzenhaube.
    Auf dem Weg zur Liebfrauenkirche trafen sie noch weitere Bewohner der Marktstraße. Sonntags präsentierten die Ravensburger, die es sich leisten konnten, ihren prächtigen Sonntagsstaat. Teure Stoffe, schimmernde Seide aus Venedig und weicher Samt aus Genua verbanden sich mit aufwendig gearbeiteten Brokatborten und schimmernden, golddurchwirkten Spitzen aus Mailand. Leichte Wolltuche in allen Modefarben kamen aus Brügge und Antwerpen, irisierende Schildpattknöpfe aus Barcelona. Flauschige, spanische Wolle,
aufwendig gearbeitete Spangen aus Silber und reich verzierte Goldknöpfe bezogen die mächtigen Herren der Ravensburger Handelsgesellschaft aus dem fernen Saragossa. Die Gesellschaft bezog Waren aus vielen Teilen der Welt, nicht nur Stoffe und Kleiderzubehör, sondern auch Gewürze und vielerlei anderes.
     
    Halb Ravensburg kniete bereits nach Frauen und Männern getrennt in den Kirchenbänken. Lediglich die hintersten Reihen waren noch frei. Luzia und Basilius betraten das Gotteshaus, kurz bevor die großen Kirchenportale geschlossen wurden. Außer Atem schlüpfte Luzia in die vorletzte Bankreihe, gerade noch rechtzeitig, bevor die Andacht begann. Ihr klopfte das Herz bis zum Halse. Nicht auszudenken, wenn sie wieder einmal zu spät gekommen wäre. Kaplan Grumpermaß sie dann immer mit einem abschätzigen Blick und sprach von ihr, wenn auch ohne ihren Namen zu nennen, in seiner Strafpredigt.
    Pfarrer Riedmann zählte schon mehr als siebzig Winter. Er würde das Krankenlager nicht mehr verlassen, und bis ihnen das Kloster zu Altdorf einen Nachfolger überstellte, oblag das Lesen der Messe Kaplan Grumper allein.
    Selbst der Weihrauch vermochte nicht den Geruch nach saurem Schweiß und ungewaschener Kleidung zu übertünchen, der den ganzen Innenraum der Kirche ausfüllte. Luzia gestand sich schuldbewusst ein, dass sie nichts dagegen hatte, zur Zeit der Messe zu einer Niederkunft gerufen zu werden. Obwohl sie im Gegensatz zu ihren Banknachbarinnen verstand, was der Kaplan las, betete und sang, fiel es ihr schwer, sich auf die heilige Messe zu besinnen. Erst als der Geistliche seine übliche Schimpftirade auf die eitlen Weibspersonen
entfesselte, wechselte er vom Lateinischen in die Sprache des Volkes und genoss sogleich die volle Aufmerksamkeit der Kirchengemeinde. Weil er die tief ausgeschnittenen Kleider der Frauen anprangerte, zog Luzia eilends ihr Brusttuch zurecht.
    Sie ließ ihren Blick ein wenig schweifen und erkannte Nanne, die einige Reihen vor ihr kniete. Viele der Anwesenden kannte Luzia mit Namen. Einige, weil sie sie noch aus ihrer Kindheit kannte, andere, weil sie durch ihre Arbeit Zutritt zu vielen Häusern hatte.
    Weil sie sich durch ihren Platz im hintersten Teil des hohen Kirchenschiffs unbeobachtet fühlte, wagte sie sogar einen heimlichen Blick zur Seite der Männer hinüber.
    Ein mittelgroßer Mann stach aus der Masse heraus. Seine Eleganz, seine Haltung, all dies machten ihn auf den ersten Blick zu etwas Besonderem. Er stand direkt am Gang auf gleicher Höhe zu ihrer Bankreihe. Also musste auch er sehr spät gekommen sein. Das machte ihn sympathisch. Sie schätzte ihn auf Ende zwanzig, höchstens Anfang dreißig. Er trug das Barett und den langen, schwarzen Gewandrock eines Gelehrten. Luzia dachte an einen Rechtsgelehrten oder einen Notar, doch dann kam ihr in den Sinn, dass es sich bei dem Unbekannten auch um den jungen Medicus handeln könnte. Basilius war voll des Lobes für den jungen Arzt. Nie wurde er müde, ihr sämtliche Vorzüge des Herrn von der Wehr anzutragen. Ganz nebenbei hatte er schon mehrfach versucht, ein Treffen zu arrangieren. Doch bisher war es Luzia gelungen, alle Bemühungen ihres Onkels zu durchkreuzen. Jetzt bereute sie es fast. Diese Erkenntnis verwirrte Luzia über die Maßen, denn ihr wurde soeben bewusst, dass sie wohl zum allerersten Mal in ihrem Leben einen Mann reizvoll fand.

    Sein schulterlanges dunkelblondes Haar hielt er im Nacken mit einem ledernen Band zusammen, was ihr den freien Blick auf sein ebenmäßiges

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