Seelenfeuer
ganze Menge Liebschaften suchte.
Als Luzia dem Anstand Genüge getan hatte, zog Basilius sie sanft an seine Seite und sagte: »Luzia, heute möchte ich dir endlich unseren Wundarzt Johannes von der Wehr vorstellen.«
Luzia spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, und mit Schrecken dachte sie an die schlichte Haube, unter die sie vorhin so leichtfertig ihr Haar geschoben hatte. Als ihr dann auch noch das abgewetzte Überkleid und der blaue, alte Mantel in den Sinn kamen …
Von der Wehr begrüßte sie mit einem formvollendeten Diener und reichte ihr die Hand. Dabei schlossen sich seine Hände warm und schützend um ihre klammen Finger. Er vermittelte ihr ein Gefühl von Nähe und Geborgenheit, wie sie es noch niemals bei einem Fremden gespürt hatte. Seine Herzlichkeit umfing sie wie ein warmer Sommertag.
»Ich freue mich sehr, dass wir uns nun endlich kennenlernen«, sagte er mit einem Lächeln, von dem Luzia glaubte, dass
es eigentlich verboten gehörte. Sie bemerkte, dass ihm nicht ein einziger Zahn fehlte, und seine Stimme erinnerte sie an alten Wein, sie klang tief und sehr männlich. »Basilius hat mir schon so viel von Euch erzählt«, fuhr er fort.
Allein die Gegenwart dieses Mannes brachte sie völlig durcheinander, und sie entschloss sich, die Flucht nach vorn anzutreten.
»Das glaube ich gern, und wie ich hoffe, nur Gutes«, antwortete sie mit einem charmanten Augenaufschlag, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte.
»Oh, er schwärmt in den höchsten Tönen von Euch, und wie ich feststelle, hat er dabei nicht übertrieben.«
Luzia schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
»Wenn Euch sogar Bürgermeister Ettenhofer die Hand reicht und ein öffentliches Lob ausspricht, habt Ihr es sehr weit gebracht. Die ganze Stadt verehrt Euch, denn soviel ich weiß, sind in den drei Monaten, die ihr jetzt hier seid, weit weniger Kinder gestorben, als es jemals zuvor der Fall war. Ihr seid ein echter Schatz und in aller Munde.«
»Ich danke Euch für Eure guten Worte«, sagte Luzia.
In diesem Augenblick ging Grete dicht an der Gruppe vorüber und spie ihr einen Strahl Speichel vor die Füße.
»Oh, ich sehe, Ihr habt Euch auch schon Feinde gemacht«, sagte von der Wehr, und seine Miene zeigte Besorgnis.
»Es kommt wohl darauf an, sich die richtigen Feinde zu machen«, gab Luzia leichthin zurück. Doch dann musste sie an die arme Berta Vögelin denken. Sie hatte nichts Böses getan, außer sich den Zorn von Kaplan Grumper und Grete Muntz zuzuziehen. Sie fröstelte plötzlich und zog den Mantel vor der Brust zusammen.
»Können wir das Gespräch nicht bei einem Becher Wein und einem Mittagsmahl fortsetzen? Hier ist es alles andere als gemütlich«, unterbrach Basilius und rieb sich die Hände. »Du bist natürlich herzlich eingeladen«, sagte er an den jungen Medicus gewandt. In Richtung der übrigen Herren der Gruppe sagte er: »Wenn uns die Herren entschuldigen. Gottes Segen und einen geruhsamen Sonntag.«
Gefolgt von den neugierigen Blicken der Umstehenden, nahmen sie den Weg Richtung Marktstraße. Luzia hörte, wie sich die Leute hinter ihrem Rücken bereits die Mäuler zerrissen …
»Johannes hat im Süden des französischen Königreichs, genauer in Montpellier studiert«, begann Basilius, als sie nach dem Essen mit warmem Wein und Gebäck am Kamin saßen. Nepomuk ließ sich vom jungen Medicus das Fell kraulen, ehe er sich auf seinem Schoß zusammenrollte. Eigentlich galt der Kater völlig zu Recht als Raubein, und dieses Verhalten war äußerst ungewöhnlich.
»Das ist unglaublich!«, entfuhr es Luzia lachend, als sie sah, wie sich der Kater unter von der Wehrs Streicheleinheiten wohlig streckte.
Johannes von der Wehr sah sie amüsiert an, und sein Blick ließ die Schmetterlinge in ihrem Bauch auffliegen. Um die Fassung wiederzugewinnen, griff sie schnell nach dem mit Wein gefüllten Becher und führte ihn an ihre Lippen. Sie wusste überhaupt nicht, was mit ihr geschah, aber dieser von der Wehr war dabei, ihr den Kopf zu verdrehen.
»Möchtet Ihr mir jetzt vielleicht ein wenig von Frankreich erzählen und davon, wie Ihr Medicus wurdet?«, fragte sie, nachdem sie sich wieder gesammelt hatte.
»Oh, Johannes ist nicht nur Medicus, er ist außerdem Chirurgicus«, half Basilius dem Gespräch auf die Sprünge.
»Ist das wahr?«, fragte Luzia überrascht. Sie wusste, dass die Heilkunde normalerweise eher von theoretischer Natur war. Neben dem Aderlass, der Urinschau und der Befragung der
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