Seelenfeuer
Gesicht erlaubte. Als er plötzlich in ihre Richtung sah, vergaß Luzia Atem zu holen. Sie fühlte sich ertappt. Der attraktive Fremde bedachte sie mit einem freundlichen Nicken. Die Röte schoss ihr in die Wangen und sie senkte rasch den Blick. »Nicht so schüchtern!«, schalt sie sich. Doch dann nahm sie sich vor, wieder den Worten des Pfarrers zu folgen, der immer noch von der Gefallsucht der Frauen sprach.
Doch es dauerte nicht lange, ehe ihre Augen erneut auf den Unbekannten trafen. Er schien alles andere als gewöhnlich zu sein. Sein Gesicht erinnerte Luzia an die griechischen Götterstatuen, von denen Basilius einige Nachbildungen besaß. Auch der Fremde hatte eine klassische Nase und ein markantes Kinn, beides verlieh ihm ein edles Aussehen. Sein bartloses Gesicht wirkte mannhaft und ein wenig herb. Luzia kam sich albern vor. Noch nie hatte sie sich Gedanken über das Aussehen eines Mannes gemacht. Als sein Blick sie erneut fand, glaubte Luzia im Boden zu versinken. Diesmal verneigte er sich leicht und schenkte ihr ein freundliches Lächeln. Sie bewunderte seinen Mut. Wenn Kaplan Grumper sein Fehlverhalten bemerkte …
Schnell schlug sie die Augen nieder, nur um gleich darauf abermals hinüberzusehen. Seine klugen, grauen Augen warteten bereits. Luzia machte die Andeutung eines Nickens und senkte ihren Blick wieder. Ihre Wangen glühten und der Gedanke, dem Fremden nach der Andacht auf dem Kirchplatz zu begegnen, löste sehr widersprüchliche Gefühle in ihr aus. Eigentlich würde sie den freundlichen jungen Mann gern
kennenlernen, doch andererseits, wenn es sich tatsächlich um den jungen Medicus handelte …
Endlich war die Messe vorüber. Kaplan Grumper segnete die Gemeinde und entließ sie. Luzia wartete, bis sich die Kirche geleert hatte, erst dann trat sie langsam ins Freie. Die Menschen fanden sich in kleinen Grüppchen zusammen und tauschten Neuigkeiten aus. Viele klagten über das kalte Wetter und die vielen Fieberkranken.
»Luzia!« Das war Nannes Stimme. Die Freundin eilte geradewegs auf sie zu und umarmte sie stürmisch. »Wie schön, dass du es heute auch einmal in die Messe geschafft hast und nicht irgendwo einem Kind auf die Welt helfen musst.«
»Während ich einem kleinen Menschen ins Leben helfe, bin ich Gott sicher nicht weniger nah, als es in der Messe der Fall ist«, entgegnete Luzia und erntete Nannes tadelnden Blick.
»Lass das bloß nicht Kaplan Grumper hören!«, ermahnte sie die Freundin. »Du musst auch an dein Seelenheil denken. Wenn du später einmal vor unserem Herrn stehst, fragt dich keiner, wem du zur Zeit der Messe beigestanden hast.«
Luzia fragte sich, ob sich Nanne wirklich um sie sorgte oder ob sie nicht auch ein wenig verschnupft war. Es stimmte ja, sie fand fast nie mehr Zeit für die Freundin. Weder für einen gemeinsamen Spaziergang noch für eine andere Unternehmung. Immer war sie in Eile und die Arbeit als Hebamme wuchs ihr langsam über den Kopf. Selbst in den kleinen Ansiedelungen außerhalb der Stadt verlangten die Leute mittlerweile nach ihr. Sie war kaum einen Tag zu Hause. Und dort, im Haus, wartete ebenfalls Arbeit auf sie. Daneben forderte ihr Onkel noch die abendlichen Unterhaltungen ein, die Luzia manchmal fast ein wenig zu viel wurden.
»Kommst du, Luzia!«, rief Basilius just in diesem Moment und winkte von der gegenüberliegenden Seite des Kirchplatzes.
Erst jetzt hatte ihn Luzia bemerkt, und wie sie es bereits vermutet hatte, in Gesellschaft des jungen Gelehrten aus der Kirche. »Auf bald, Nanne, wir sehen uns. Spätestens Samstag wollte ich mir ein Bad bei euch gönnen.«
»Wie oft du das schon gesagt hast, kann ich gar nicht mehr zählen«, sagte Nanne und zog eine Grimasse.
Luzia nahm die Freundin in den Arm und wollte sie ein wenig trösten.
Doch Nanne schob sie beiseite. »Schon klar, wenn der Herr von der Wehr auf dich wartet, hast du keine Zeit für mich.«
Dann stimmt es also, dachte Luzia.
»Sieh nur, wie er dich anschaut«, neckte Nanne, die nun doch einlenkte.
»Unsinn! Er kennt mich doch gar nicht.«
Nanne sah sie ungläubig an. »Das wird sich sicher gleich ändern. Also benimm dich und sei freundlich und fügsam. Er ist nämlich derzeit der begehrteste junge Mann der ganzen Stadt. Leider zeigt er bislang keinerlei Interesse an den Ravensburgerinnen«, trällerte Nanne und zwinkerte Luzia zu.
»Von mir aus kann es auch so bleiben«, erwiderte Luzia mit einem Schulterzucken. Sie verabschiedete sich und überquerte den
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