Seelenfeuer
Weidacher befindet sich allerdings nicht darunter«, entgegnete Egle spitz. Ein Raunen ging durch die Reihe der Räte.
»Humbug! Michael Weidacher ist Oberst Feldmanns bester Mann. Dafür erhielt er im letzten Jahr sogar ein öffentliches Lob. Und nun will ich diese überaus unangenehme Angelegenheit ein für alle Mal aus der Welt schaffen«, entschied Ettenhofer und nickte dem Ammann auffordernd zu.
Jost nickte erleichtert.
»Also stimmen wir ab«, sagte der Ammann mit strenger Miene. »Meine Geduld neigt sich genau wie die des Bürgermeisters dem Ende zu. Besonders wenn man bedenkt, dass wir bereits bei einem guten Mittagsmahl sitzen könnten.« Mit seinen tiefliegenden Augen blickte er drohend in die Runde. Er würde keinerlei Widerspruch mehr dulden. In seine Haltung legte er die ganze Autorität des Blutgerichts, dem er vorsaß, das aber ausschließlich bei todeswürdigen Verbrechen tagte. Ammann Jost teilte Ettenhofers Meinung. Wenn es ihnen jetzt nicht gelang, die Vorwürfe wegen Hexerei oder Verbindung zum Teufel aus dem Weg zu räumen, würden immer neue Anschuldigungen dazukommen.
»Also, Ihr werten Herren, wer von Euch dafür ist, dass wir die Geschichte Luzia Gassner und Berthold Schwarzenberger nicht mehr weiterverfolgen, hebe seine rechte Hand.«
Der Ammann zählte einschließlich Ettenhofers und seiner Stimme neunzehn Hände. Einzig Benedict Egle und Ludwig Bopfler stimmten dagegen, was alle anderen nicht verwunderte.
Der Abend war noch jung, als die dunkel gekleidete Gestalt wie ein unheimlicher Geist durch das verlassene Ravensburg schlich. Selbst so früh am Abend waren die Straßen wie leergefegt. Während die schwarzen Fenster wie finstere Augen auf die Gassen blickten, waberte Nebel zwischen den Häusern umher und umgab die Dachgiebel auf eine Art, wie es das weiße Haar bei den alten Weibern tat.
Die Wetterkapriolen der letzten Jahre schienen sich im Jahre des Herrn 1484 noch zu verschärfen. Obwohl sie sich am Anfang des sechsten Mondes befanden, wollte die Kälte nicht weichen und der Nebel, der tagein, tagaus wie zäher Schleim über der Stadt hing, machte den Menschen Angst. Eigentlich kannten die Ravensburger das Nebelwetter nur aus einzelnen Tagen im Herbst. Dann gab es ab und an einen nebligen Morgen, doch dass der undurchdringliche Dunst den ganzen Tag nicht aus den Gassen wich, war mehr als ungewöhnlich und sehr beängstigend.
Im Schutz des Nebels klopfte die finstere Gestalt an das schwere Eichentor des Pfarrhauses. Während der Mann wartete, bis endlich geöffnet wurde, scharrte er ungeduldig mit den Füßen auf der Treppe.
»Was wollt Ihr zu dieser Stunde noch von Kaplan Grumper?«, fragte Grete grob.
»Das geht Euch nichts an! Lasst mich erst einmal hinein, oder soll die ganze Stadt glauben, ich käme um diese Zeit noch zur Beichte? Niemand braucht etwas zu wissen und auch Euch rate ich zu schweigen. Also meldet mich dem Herrn Kaplan, aber schnell, ich hab nicht ewig Zeit!«, herrschte Berthold Schwarzenberger die Muntzin an.
Diesmal wollte er es geschickter anstellen. Er würde den
Teufel tun und sein Wissen noch einmal beim Bürgermeister zur Anzeige bringen. Gut, dass er Ettenhofer vor ein paar Wochen lediglich die Geschichte aus dem Kerker verraten hatte. Nicht auszudenken, wenn er schon all seine Trümpfe ausgespielt hätte. Ein böses Kichern stieg seine Kehle empor.
Im Gegensatz zum Bürgermeister war auch Kaplan Grumper daran gelegen, der roten Hexe ein Feuer unter ihren wohlgeformten Hintern zu legen, dachte Schwarzenberger siegesgewiss, während seine Finger den struppigen Bart kraulten.
Davor aber würde sie noch ein Weilchen im Grünen Turm zubringen. Den Komfort der Zellen kannte sie ja bereits, alles andere würde die Gassnerin noch kennenlernen. Allein bei dem Gedanken trat ein erwartungsvolles Lächeln auf sein Gesicht.
»Setzt Euch ins Studierzimmer, Kaplan Grumper empfängt Euch zu gegebener Zeit«, sagte die Muntzin, als sie aus einer der Türen trat, und führte ihn in die mit allen Annehmlichkeiten ausgestattete Stube. Schwarzenberger setzte sich auf einen mit dunklem Schaffell gepolsterten Stuhl. Er stand gegenüber von Grumpers mächtigem Schreibtisch, dessen Platte mit goldenen Intarsien ausgelegt war. Selbst die prunkvollen Füße des Möbels schimmerten golden. Dies war der Platz eines mächtigen Mannes. Zwar war Grumper selbst nicht anwesend, aber seine Präsenz war zum Greifen. Sie verleitete selbst Schwarzenberger dazu, aufrecht zu sitzen
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