Seelenfeuer
gekommen war und jetzt nur so tief schlief, weil man ihm ein Mittel gegeben hatte. Und als Cornelius zu sich gekommen war, hatte der Arzt weitererzählt, hatte er als erstes nach einer Frau namens Elisabeth verlangt.
Sie konnte es noch immer kaum fassen, daß der heimliche Besuch im
valetudinarium
so glücklich verlaufen war. Selene mußte eine Zauberin sein, daß sie den römischen Arzt so freundlich gestimmt hatte. Nicht nur hatte er ihnen zu bleiben erlaubt, nicht nur hatte er Selene überall herumgeführt und alle ihre Fragen beantwortet; er hatte Elisabeth die Erlaubnis gegeben, Cornelius jeden Tag zur Mittagszeit zu besuchen. Darum pflückte sie jetzt die Blumen.
Ulrika verfolgte Elisabeths fröhliches Tun mit großen Augen und fragte sich, wieso auf einmal alle so vergnügt waren, und keiner seine Freude mit ihr teilte. Nun ja, dachte sie, während sie vom Boden aufstand, die Puppe fest an ihre Brust gedrückt, sie haben es eben vergessen. Sie vergessen mich manchmal einfach. Sie ging zum Tisch und zupfte ihre Mutter am Ärmel.
»Was ist denn, mein Kind?« fragte Selene, ohne den Kopf zu drehen, weiter mit der Zeichnung beschäftigt.
»Mama«, sagte Ulrika.
»Deine Mutter arbeitet«, mahnte Rani. »Warum gehst du nicht ein bißchen in den Garten zum Spielen?«
»Mama«, sagte Ulrika wieder.
»Nur einen Augenblick noch, Rikki. Siehst du, hier, Rani«, sagte sie und wies auf eine Stelle auf ihrer Zeichnung. »Hier ist ein großer Schrank für Verbandzeug und Arzneien. Das ist praktischer, als wenn …«
Ulrika wich zurück. Sie kannte diesen Ausdruck auf dem Gesicht ihrer Mutter. Er wirkte wie eine unsichtbare Barriere, die nicht zu überwinden war. Sie drehte sich um und ging in den Garten hinaus.
»Magnus hat mir auch geraten, wie wir das am besten mit unserem Geld machen«, bemerkte Selene und legte die Feder aus der Hand. »Als ich ihm erzählte, daß wir zu Schiff nach Alexandria wollen, meinte er, wir sollten unser Geld bei einer Bank hier in Jerusalem hinterlegen. Seeleute seien berüchtigte Diebe, sagte er. Wir könnten unser Geld noch so gut verstecken, es wäre ein Wunder, wenn wir es bei der Ankunft in Ägypten noch hätten. Hier gibt es Geldverwalter, die Verbindung zu Bankhäusern in Alexandria haben, sagte er, und mit einem Kreditbrief …«
Sie beschlossen, daß Rani noch am Nachmittag in die Stadt gehen und Geld und Juwelen einem der vielen angesehenen Bankiers in Jerusalem anvertrauen würde. In zwei Tagen dann, wenn die Feiertage vorüber waren, wollten sie nach Westen reisen und in Joppe ein Schiff nach Alexandrien besteigen.
Selene und Rani sahen einander lächelnd an. Die Zukunft schien jetzt ganz nahe.
45
Die Holzlöffel aus Elisabeths Küche bildeten den Tannenwald, und ein mit Wasser gefüllter Graben war der Fluß. Der Rhein. Ulrika hatte nie Schnee gesehen, aber ihre Mutter hatte ihn ihr beschrieben, und sie fand, die Schafwolle, die sie aus einem der Säcke oben stiebitzt hatte und die sie über ihren Wald gestreut hatte, sähe sehr echt aus.
Es war später Nachmittag. Ulrika war im Garten und beschäftigte sich mit ihrem Lieblingsspiel, das ›Germanien‹ hieß.
»Hier ist der Fluß«, sagte sie laut, drückte die Grabenränder ein wenig fester und goß noch etwas Wasser nach. »Und hier sind die Bäume.« Sie richtete die Löffel gerade, die sie wie Pfähle in die Erde gesteckt hatte. »Und hier ist Ulrika«, sagte sie schließlich und setzte ihre Puppe mitten in die Miniaturlandschaft. »Ulrika ist die Prinzessin. Sie warnt alle, daß die Eisriesen kommen. Wer wird die Leute retten?« rief sie mit ihrer Kleinmädchenstimme.
»Oh! Schaut! Da ist Wulf, der edle Prinz.«
Ulrika hatte keine Puppe zur Darstellung ihres Helden; ihre lebhafte Phantasie zauberte sein Bild. Plappernd und lachend, lebhafter, als sie sich je zeigte, führte sie ihre beiden Helden durch ausgedachte Abenteuer.
»Und danach lebten sie glücklich und zufrieden bis an ihr seliges Ende«, sagte sie schließlich und ließ sich seufzend ins Gras fallen.
Wieder einmal hatte sich Wulf als der große Held und Retter erwiesen. Es gab nichts, was er nicht vollbringen konnte, und Ulrika war stolz darauf, daß er ihr Vater war. Sie wußte, daß er sie von Herzen liebte, denn er war immer bei ihr. Das war Ulrikas ganz besonderes Geheimnis. Ihre Mutter sagte, Wulf wäre bei der Göttin, aber Ulrika wußte es besser. Vor Jahren schon war er in ihren Träumen zu ihr gekommen und hatte ihr versprochen, so
Weitere Kostenlose Bücher