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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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lange bei ihr zu bleiben, wie sie ihn brauchte.
    Und Ulrika brauchte ihren Vater oft. Rani und ihre Mutter waren immer so beschäftigt; sie ließen sie häufig in der Obhut Fremder – so wie an diesem Tag, wo sie sie bei Elisabeth zurückgelassen hatten. Dann drohte immer das schreckliche Gefühl des Verlassenseins sie zu überfallen und traurig zu machen; aber immer rettete sie Wulf, der plötzlich zu ihr kam, mit ihr sprach und sie tröstete. Auch jetzt war er bei ihr, hier in diesem kleinen Garten in Jerusalem.
    Ulrika, die in der warmen Nachmittagssonne lag, wurden die Lider schwer, als plötzlich ein Schatten über ihr Gesicht huschte. Sie schlug die Augen auf, sagte: »Oh!« und setzte sich auf.
    Auf der Gartenmauer hockte ein Rabe, dessen goldener Blick direkt auf sie gerichtet zu sein schien. Ulrika saß wie gebannt. Der Rabe war der heilige Vogel Odins, und er war, wie ihre Mutter ihr erzählt hatte, das Schutztier ihres Vaters.
    »Grüße dich«, sagte sie. »Grüße dich, Rabe.«
    Der Vogel neigte den Kopf, blinzelte einmal, breitete dann seine Schwingen aus und hob sich in die Luft.
    »Warte!« rief Ulrika und sprang auf. »Warte! Flieg nicht fort.«
    Wilder Wein wuchs an der Gartenmauer. Sein Geäst war stark genug, das kleine Mädchen zu tragen. Flugs war Ulrika über der Mauer und rannte dem schwarzen Vogel folgend, der am blauen Himmel dahinschwebte, die Gasse hinunter.
     
    Alexandria!
    Nur noch Tage war es entfernt. Selene eilte die Straße entlang, als könne sie so den Lauf der Stunden beschleunigen. Im Gürtel trug sie die drei Schiffskarten, die sie bei einem Schiffsagenten gekauft hatte. Auch die Reisekosten für die Karawane nach Joppe hatte sie schon bezahlt. Nicht erst in zwei Tagen würden sie aufbrechen, sondern schon an diesem Abend. Spätestens in einer Woche würde Selene zum erstenmal Alexandria betreten, die Stadt, aus der ihre Eltern gekommen waren und die Andreas in seiner Jugend gekannt hatte.
    Eilig bog sie in die Straße ein, in der Elisabeths Häuschen stand. Hoffentlich war Rani schon zurück. Sie mußten sich sputen, flink ihre Sachen packen, wenn sie die Seidenkarawane, die am Abend zur Küste aufbrechen würde, rechtzeitig erreichen wollten.
    Elisabeth saß am Webstuhl und arbeitete an einem der schönen Tücher, für die sie bekannt war, als Selene ins Haus trat. Rani war noch nicht zurück, und auch Ulrika war zu Selenes Überraschung nirgends zu finden.
    »Sie war im Garten«, sagte Elisabeth und sprang auf. »Durchs Haus ist sie nicht gekommen. Da hätte ich sie gesehen.«
    »Dann muß sie über die Mauer geklettert sein.«
    »Aber warum denn?«
    Selene wurde plötzlich kalt. »Wohin führt die Gasse hinter dem Haus, Elisabeth?«
    »In dieser Richtung ist sie eine Sackgasse.« Elisabeth wies mit ausgestrecktem Arm. »In der anderen führt sie bis in die Oberstadt hinauf.«
    Selene eilte zur Tür. »Ich gehe sie suchen. Bleibst du hier, falls sie zurückkommt?«
     
    Der Rabe spielte mit Ulrika. Er flog ein kurzes Stück, dann ließ er sich auf einem Torbogen oder einem Vordach nieder, neigte den Kopf, um zu ihr hinunterzuschauen, und wenn sie sich näherte, flog er plötzlich wieder auf. Ulrika wußte nicht, wohin er sie führte, aber sie fürchtete sich nicht. Ihr Vater war ja bei ihr.
    Der Rabe flatterte schließlich eine kurze Gasse hinunter, hockte sich einen Moment lang auf ein vorspringendes Dach und schwang sich, als Ulrika fast unter ihm stand, wieder in die Lüfte. Diesmal verschwand er hinter den Dächern.
    Enttäuscht sah sie ihm nach. Sie wandte sich ihrem Vater zu, der sich nur von Ulrika und sonst keinem sehen ließ, um ihn zu fragen, was sie tun solle. Da merkte sie, daß sie nicht allein in der Gasse war. Ein Hund war ihr gefolgt.
    Ulrika lächelte. »Grüße dich, Hund«, sagte sie.
    Der Hund blieb stehen und starrte sie an. Seine Haltung war lauernd, in seinem Nacken die Haare waren gesträubt.
    »Grüß dich, Hund«, sagte Ulrika wieder und hielt ihm die Hand hin.
    Das Tier schlich dicht an den Boden gedrückt näher. Da sah sie, daß der Hund Schaum vor dem Maul hatte.
     
    Rani war zufrieden mit sich. Sie war in die Straße der Banken gegangen und hatte dort einen Mann von ausgezeichnetem Ruf gefunden. Er hatte ihr Gold und ihr Silber auf ehrlicher Waage gewogen und ihren Schmuck auf einen reellen Marktwert geschätzt, und Rani hatte dafür einen Kreditbrief erhalten.
    Dieser Brief war mit dem Abdruck eines Siegels versehen, das Rani jetzt an einer

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