Seelenfeuer
Angelegenheiten?«
Sie gingen langsam durch den Garten.
»Du siehst wohl aus, Andreas. Das Leben in Rom scheint dir gutzutun.«
Andreas neigte den Kopf zu der kleinen alten Frau hinunter und lächelte. Sein Haar, das ganz ergraut war, schimmerte in der Sonne.
»Rom ist gut und Rom ist schlecht. Ich liebe es und ich hasse es.«
»Und was gibt es Neues zu berichten? Erzähl mir.«
Wieder lächelte Andreas. Er war nicht mehr der zornige und ernsthafte junge Mann, der er damals in Antiochien gewesen war. Siebzehn Jahre weiter Reisen durch die Welt, auf denen er die Tugenden und Laster der Menschen gründlich kennengelernt hatte, hatten ihn milder gemacht. Immer noch war die steile Falte zwischen den dunklen Brauen vorhanden, war sogar tiefer eingekerbt jetzt, doch er lächelte häufiger und leichter, und die Fältchen um seine Augen verrieten Humor und Nachsicht.
»Erzähl mir von dir, Mutter. Wie geht es dir? Ich habe gehört, daß ihr jetzt mit der Schule der Medizin in Konkurrenz getreten seid. Daß ihr ihnen die Patienten stehlt.«
»Das kannst du nur von Diosthenes haben, dem alten Krokodil. Nur
er
spricht von Patienten, als handelte es sich um eine Ware, um die man streiten muß. Nein, Andreas. Unser kleines Krankenhaus ist für die große Schule keine Bedrohung. Schon deshalb nicht, weil wir nur Frauen und Kinder behandeln. Außerdem machen wir keine Operationen.«
Sie waren wieder zum Eingang des Krankensaals gekommen und blieben stehen, um einen Blick hineinzuwerfen. Andreas war sogleich beeindruckt von den weißen Betten, dem hellen Licht, der allgemeinen Sauberkeit.
»Wie hat sich das denn entwickelt?« fragte er, den Blick auf die Gruppe von Schülerinnen am hinteren Ende des Saals gerichtet.
»Es war ein Wunder, Andreas. Wahrhaftig. Vor drei Jahren stand plötzlich eine Heilerin aus Persien vor unserer Tür und bat darum, in den Dienst der Isis treten zu dürfen. Sie leitet jetzt unser kleines Krankenhaus. Und sie bildet die Pflegerinnen aus, die wir dann zu anderen Tempeln am Nil schicken.«
»Sie kommt aus Persien, sagst du?«
»Sie erzählte mir, daß sie viel gereist ist. Sie war sogar in Babylon.«
Andreas beobachtete immer noch die Schülerinnen, die um eines der Betten gruppiert waren. Er sah ihre Lehrerin, die ihm den Rücken kehrte. Sie neigte sich über einen Patienten, tat irgend etwas, dann reichte sie einer der Schülerinnen einen Verband. Während Andreas sie beobachtete, durchzuckte ihn plötzlich eine heiße Flamme.
»Wie heißt sie?« fragte er scharf.
»Schwester Peregrina. Sie lebt mit ihrer Tochter hier im Tempelbezirk.«
Er sah noch einen Moment zu ihr hinüber. »Einen Augenblick hatte ich – sie erinnerte mich an jemanden, den ich vor langer Zeit einmal in Antiochien kannte.«
Mutter Mercia zog die Brauen hoch. So ging es also anderen mit Peregrina ähnlich wie ihr. Vielleicht lag es an ihrem Gesicht; vielleicht war etwas in ihren Zügen, das jedem, der sie ansah, vertraut erschien. Solche Menschen gab es.
»Möchtest du nicht einen Abend mit mir essen, solange du in Alexandria bist, Andreas?« fragte sie, sich von der Tür abwendend.
»Das kann ich leider nicht versprechen. Mein Schiff läuft in wenigen Tagen aus, und ich habe noch so viel zu erledigen.«
»Dann trink jetzt einen Becher Wein mit mir.«
Andreas wandte dem Krankensaal den Rücken, und während er Mutter Mercia die neuesten Skandale vom kaiserlichen Hof in Rom berichtete, stand hinten im Krankensaal Schwester Peregrina still wie ein Standbild, mit ausgestreckten Armen vor einem schlafenden Patienten. Sie führte ihren Schülerinnen die ›innere Berührung‹ vor, aber Andreas sah es nicht.
47
Ulrika hatte es wieder getan. Sie hatte sich aus dem Unterrichtsraum geschlichen und war zum Hafen hinuntergelaufen, wo die große Bibliothek stand. Wieder hatte sie heimlich ein Buch mitgenommen. Wenn je einer der Bibliothekare sie ertappen sollte, wenn ihr Lehrer je merken sollte, daß sie den Unterricht schwänzte, wenn ihre Mutter ihr je auf die Schliche kommen sollte – Ulrika wußte, daß sie streng bestraft werden würde. Aber das war ihr gleichgültig. Dieses Buch war ganz neu, und sie hatte es unbedingt haben müssen. Sie würde es am Ende der Woche in die Bibliothek zurückbringen, und alles war in Ordnung.
Es war eines dieser neuen Codex-Bücher – viereckige Lagen von Pergamentblättern, die auf einer Seite außen zusammengeheftet waren; so viel bequemer zu lesen als die unförmigen
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