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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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zusehen, wie der Sieger seinen Preis entgegennahm und der tote Verlierer aus der Kampfbahn geschleift wurde.
    Tausende von Menschen schrien und brüllten und trampelten mit den Füßen.
    Selene und Ulrika waren immer noch wie betäubt, als die nächste Darbietung begann. Das eiserne Tor wurde hochgezogen und etwa einhundert Menschen stolperten blinzelnd ins helle Licht, in Fetzen gekleidet, abgemagert, mit bleichen Gesichtern, Männer, Frauen und Kinder. Auf der anderen Seite der Arena wurde ein weiteres Tor geöffnet, und eine Meute ausgehungerter Löwen stürzte heraus.
    »Juden!« grölte die Menge. »Tod den Juden!«
    Selene faßte Ulrika bei der Hand und floh mit ihr aus dem Stadion.
    Ja, sie wußte, warum es für die Insel keine Hilfe gab. Von solchen Menschen war kein Mitgefühl zu erwarten.
    »Solange das Gesetz gestattet, daß die Leute einfach ihre alt gewordenen Sklaven bei uns abliefern«, hatte Herodas gesagt, »werden wir nie eine Lösung finden. Denn hier sind zu viele Menschen. Wenn nur der Kaiser ein Einsehen hätte.«
    Der Kaiser ist ein habgieriger und selbstsüchtiger Mensch, dachte Selene, vor dem Standbild des Äskulap stehend. Dreimal hatte sie darum gebeten, von ihm empfangen zu werden; dreimal war ihre Bitte abgelehnt worden. Nicht einmal Paulina, die großen Einfluß und gute Beziehungen hatte, war es gelungen, ihr eine Audienz zu vermitteln. Jetzt, wo der Kaiser wieder in Rom war, war er viel zu sehr damit beschäftigt, seinem persönlichen Vergnügen nachzujagen, um sich die Sorgen des Volkes anzuhören.
    Claudius wieder in Rom. Wo ist dann Andreas? Paulina hatte sich bei ihren Freunden im kaiserlichen Palast nach ihm erkundigt, aber niemand hatte ihr Auskunft geben können.
    Ich weiß, wo er ist, dachte Selene. Er hat ein Schiff gefunden, das ihn zu neuen Horizonten trägt.
    Selene schüttelte den Kopf. Sie war vor den Gott getreten, um seinen Beistand bei dem bevorstehenden Eingriff zu erbitten, nicht um ihm ihre persönlichen Kümmernisse zu Füßen zu legen. Sie mußte sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Es war, wie Herodas gesagt hatte, als wolle man versuchen, die Meeresflut mit einem Besen zurückzuhalten. Ihr Plan, die Insel in eine Zufluchtsstätte für Kranke und Verwundete zu verwandeln, hatte sich nicht verwirklichen lassen; es gab noch immer keinen Ort, an den die Menschen Roms sich wenden konnten.
    »Heiliger Äskulap«, murmelte Selene, von Weihrauch und flackernden Schatten umgeben, »Vater der Heilkunst, führe heute abend mein Messer. Gewähre mir die Weisheit und die Kraft, dieses Kind in die Welt zu bringen.
    Mutter Venus, wache über das arme Mädchen, hilf ihr, daß sie ohne Schmerzen aus dieser Welt scheiden kann und gib mir dieses Kind.«
    Zuletzt rief Selene noch den Geist des göttlichen Julius Cäsar an, der ihr Großvater war.
    Wenn Selene vor sechs Monaten mit der Hoffnung in Rom angekommen war, sich mit den Mitgliedern ihrer Familie auf dem Palatin zu vereinigen, so war diese Hoffnung erloschen, als sie von der Falschheit und Machtgier dieser Leute gehört hatte. Die Angehörigen der kaiserlichen Familie waren, wie Andreas gewarnt hatte, in der Tat eine höchst gefährliche Clique. Ganz Rom zerriß sich die Mäuler über Messalinas heimtückische Bestrebungen, ihren Sohn Britannicus als Nachfolger Claudius’ zu sehen. Jedes Hindernis war sie bereit, aus dem Weg zu räumen. Es kursierten Geschichten von unerklärlichen Todesfällen und dem geheimnisvollen Verschwinden von Personen, die Messalina im Weg gewesen waren.
    Mit jedem Tag, der verstrich, mit jedem neuen Gerücht über die kaiserliche Familie wuchs Selenes Wachsamkeit. Diese Leute, die mit so viel Erbitterung und Tücke um die Macht kämpften, würden das plötzliche Erscheinen der einzigen legitimen Nachkommin Julius Cäsars nicht willkommen heißen. Aus Gründen der eigenen Sicherheit blieb Selene ihnen aus dem Weg; und auch um Ulrikas Willen mußte sie ihr Geheimnis bewahren. Die Urenkelin Julius Cäsars war jetzt in heiratsfähigem Alter, eine junge Frau, die Kinder zur Welt bringen konnte.
    Mit ihrem letzten, inbrünstigsten Gebet wandte sich Selene an die Göttin, die Große Mutter. Sie erflehte Gnade für die Seele des jungen Mädchens, das ein so frühes und tragisches Ende finden mußte. Und sie befahl, wie sie das immer tat, ihre eigene Mutter und ihren Bruder, ob sie nun tot oder lebendig sein mochten, dem besonderen Schutz der Göttin.
     
    »Wenn ich groß bin, möchte ich einmal

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