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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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schrumpfen. »Der Bursche macht mehr Arbeit, als er wert ist. Der gehört verkauft.«
    »Darüber entscheide ich«, sagte Paulina schneidend. »Unsere Sklaven sollen nicht mißhandelt werden, Lucas.« Sie wandte sich Ulrika zu, und ihre Miene wurde freundlicher. »Du brauchst dir um den Jungen keine Sorgen zu machen. Er ist jung. Er wird unsere Sprache mit der Zeit schon lernen.«
    »Aber er unterrichtet mich auch. Er lehrt mich seine Sprache.«
    »Und was ist das für eine Sprache, Ulrika?«
    Ulrika warf ihrer Mutter einen Blick zu, dann sagte sie leise: »Die Sprache, die mein Vater sprach.«
    Selene nahm sie leicht bei der Schulter. »Ulrika«, sagte sie müde, »was du getan hast, ist nicht in Ordnung. Paulina möchte nicht, daß du überall im Haus herumwanderst. In Zukunft wirst du nicht mehr –«
    »Aber Eiric ist Germane, Mutter. Er mag Julius Cäsar nicht. Und ich mag ihn auch nicht.«
    »Ich kann nichts dabei finden«, meinte Paulina lächelnd, ohne Selenes bestürztes Gesicht zu bemerken. »Wenn er seine Arbeit getan hat, kannst du Eiric jederzeit besuchen – vorausgesetzt, deine Mutter erlaubt es.« Zu Lucas gewandt fügte sie hinzu: »Sie können sich im Obstgarten treffen, im Beisein eines Aufsehers. Aber du wirst es nicht sein.«
    Ulrika sah die Römerin, die sie so lange gehaßt hatte, ungläubig an, dann rief sie: »Oh, danke dir. Ich verspreche dir, daß ich von jetzt an keine Dummheiten mehr mache.«
    »Ich muß gestehen, Selene«, sagte Paulina, als sie wieder allein waren, »daß die Anwesenheit deiner Tochter mir Schmerz bereitet. Sie erinnert mich ständig an den Verlust meines eigenen Kindes.«
    Ulrika hatte auch ihrer Mutter Schmerz bereitet. Niemals, dachte Selene, würde sie den Ausdruck auf Ulrikas Gesicht vergessen, als sie von ihrem Urgroßvater gesprochen hatte.
    »Ich werde von jetzt an darauf achten, daß Ulrika in der Nähe unserer Räume bleibt«, sagte sie.
    »Nein, das ist nicht nötig. Ich bin töricht. Ich will ja nur meinem Schmerz nicht ins Gesicht sehen. Ulrika kann sich überall im Haus frei bewegen. Sie ist ein liebenswertes Kind.«
    Sie gingen durch das Atrium in den Innenhof, über dem sich der kalt glitzernde Dezemberhimmel spannte. Paulina zog ihre Palla um sich. »Ich danke dir nochmals, Selene, für das, was du getan hast. Gleich morgen sende ich den Priestern des Äskulap ein Dankgeschenk. Was dich betrifft«, fügte sie hinzu, »so mußt du mit Ulrika so lange bleiben, wie du willst.«
    Selene lächelte. Es war doch ein Wunder geschehen. Ihr Medizinkasten war fast leer, aber es war gerade noch genug Fingerhut dagewesen, um Maximus das Leben zu retten. Der Gott hatte doch für sie gesorgt.

56
    Sobald Selene das Mädchen sah, wußte sie, daß es sterben würde.
    »Leg sie so bequem wie möglich«, sagte sie zu dem Bruder, der dem provisorischen Krankensaal vorstand. »Ich muß zu Äskulap beten.«
    Sie wollte den Gott um Kraft und eine ruhige Hand bitten, nicht, wie der Bruder glaubte, um einen Rat, was sie tun sollte. Diese Entscheidung war gefallen, als das Mädchen, dem Tode nahe, weil das Kind, das sie trug, nicht geboren werden wollte, in den Tempel gekommen war. Was zu tun war, darüber gab es keinen Zweifel – das Gesetz besagte: Sollte eine Frau in der Schwangerschaft sterben, so mußte das Kind, sofern es lebensfähig war, aus ihrem Leib herausgeschnitten werden. Dieses arme junge Ding, dessen Namen sie nicht wußte, war dem Tode geweiht; doch das Kind in ihrem Leib lebte und mußte die Chance erhalten, weiterzuleben.
    Selene war beklommen. Sie hatte noch nie einen Kaiserschnitt gemacht.
    Müde schritt sie den Pfad hinunter, der von dem kleinen Nebengebäude zum Tempel selbst führte. Entbindungen innerhalb des Tempels waren nicht erlaubt; sie hätten den heiligen Boden besudelt. Darum hatten die Brüder das fast bewußtlose Mädchen in eines der Räucherhäuser getragen, das Selene in einen Krankensaal umgewandelt hatte. Und dort, unter dem niedrigen Dach, in dessen Balken die Tauben gurrten, wollte Selene den schwierigen Eingriff wagen, um das Leben des Kindes zu retten.
    Der Tempelraum war jetzt reinlicher – es war Herodas gelungen, Helfer zu finden, die das Haus des Gottes sauberhielten –, aber immer noch lagen hier die kranken und altersschwachen Sklaven dichtgedrängt, und täglich wurden neue auf die Insel gebracht. Dies war nicht der Isistempel mit vollen Truhen und einer Schwesternschaft, die sich aus den Töchtern der Adelsfamilien

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