Seelenfeuer
Sie lebt jetzt bei mir. Ich habe meinen Hausarzt verkauft, und Selene hat seinen Platz eingenommen.«
»Diese Griechen!« meinte Marcia Tullia. »Weit überschätzt, wenn du mich fragst. Die Qualität der Sklaven ist nicht mehr das, was sie einmal war.« Dann neigte sie sich zu Paulina und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Selene hörte Paulina leise sagen: »Nein, Selene ist keine Sklavin von mir. Sie ist freigeborene römische Bürgerin.«
Selene hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, daß der Name, den man trug, in Rom wichtiger war als alles andere. Abstammung zählte mehr als Charakter und Leistung. Die Leute, die hier um sie herum saßen, waren Nachfahren der Gründer Roms und wachten sorgsam darüber, daß niemand ihre Kreise sprengte.
»– in Not geraten«, sagte Cornelias Ehemann soeben zu seinem Nachbarn. »Aber er ist dennoch ein Agrippa. Da konnten wir doch nicht zulassen, daß er sein Haus an einen Syrer verkaufte. – Oh, gewiß, der Käufer hat Geld, aber er kommt aus kleinster Familie …«
Hinter Selene unterhielten sich zwei Frauen. »Und als sie dahinterkam, daß er sie belogen hatte, daß seine angebliche Verwandtschaft mit den Gracchen nichts als Erfindung war, hatte sie natürlich keine andere Wahl, als sich von ihm scheiden zu lassen. Sie hat es sehr schwergenommen. Sie behauptet, sie hätte ihn geliebt.«
Bei Marcia Tullias lautem Gelächter drehte sich Selene um. »Einen Schauspieler!« rief Marcia Tullia. »Wie konnte sie so töricht sein, sich in einen Schauspieler zu verlieben. Sie kann von Glück sagen, daß ihr Vater sie nur verbannte.«
Cornelia fügte mit unmutiger Miene hinzu: »Man hätte ihnen beiden den Tod geben sollen. Das wäre das gute Recht des Vaters gewesen.«
Paulina, die Selenes perplexes Gesicht sah, beugte sich zu ihr und sagte erklärend: »Das Gesetz verbietet es Nachkommen von Senatoren, Mitglieder der Schauspielergilde zu heiraten.«
Sie nahm Valerius von der Brust, schloß ihr Gewand und reichte das Kind einer Sklavin. Während sie die Spange ihrer Palla zudrückte, blickte sie über Selenes Schulter hinweg und rief: »Oh! Da ist Andreas.«
Die Sonne lag hell auf seinem grauen Haar und der weißen Toga, während er, immer wieder von Freunden und Bekannten aufgehalten, die ihn begrüßten, auf sie zukam. Selene, der das Herz bis zum Hals schlug, schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis er bei ihnen war. Ihre Blicke trafen sich, lange ehe er vor ihr stand, und hielten einander fest, bis er endlich da war, Andreas, der Mann, den sie liebte.
»Sei mir gegrüßt, Selene«, sagte er.
Sie sah in sein lächelndes Gesicht. »Andreas«, sagte sie nur.
»Sieh da!« rief Cornelias Ehemann, von seinem Platz aufstehend. »Zurück in Rom. Es hat lange genug gedauert.« Die beiden Männer schüttelten sich die Hände.
»Wie war es in Spanien?« fragte Marcia Tullia. »Es soll, wie ich hörte, um diese Jahreszeit unerträglich sein.«
Selene senkte die Lider. Er war in Spanien gewesen.
»Und in welche unwirtlichen Regionen wird deine nächste Mission dich führen, Andreas?« fragte Paulina.
Er trat zu ihr und faßte ihre beiden Hände. »Du siehst wohl aus, Paulina«, sagte er mit Wärme. »Wie geht es dir?«
Selene sah den forschenden Blick seiner Augen, als Paulina antwortete: »Es geht mir gut, Andreas. Danke dir für deine Briefe.«
»Ich hörte, daß du einen Sohn hast.«
»Er könnte Valerius’ Sohn sein, so ähnlich ist er ihm.«
»Bist du für länger in Rom?« erkundigte sich Marcia Tullia.
»Ja«, antwortete er, Paulinas Hände loslassend und sich Selene zuwendend. »Ich bleibe jetzt.« Er schwieg einen Moment. »Und du, Selene?« fragte er sie lächelnd. »Wie geht es dir?«
»Ich bin dir Dank schuldig, daß du mich zu Paulina gesandt hast. Ohne ihre liebevolle Hilfe wäre dieses Jahr für mich sehr schwierig gewesen. Meiner Tochter und mir geht es gut.«
Ein Schatten flog über sein Gesicht, aber schon lächelte er wieder.
»Wann bist du nach Rom zurückgekommen?« fragte Paulina.
Andreas wollte gerade Antwort geben, aber da begrüßte ihn schon wieder jemand, nahm ihn beim Arm und zog ihn mit sich.
Selene starrte auf den Fluß. Der Wind frischte auf, und sie fröstelte ein wenig. Als sie einen Blick über die Schulter warf, sah sie Andreas in einem Kreis von Leuten, dessen Mittelpunkt er war. Es überraschte sie nicht, daß er wenig später auf der kaiserlichen Tribüne Platz nahm. Er saß zur Rechten des Kaisers.
Selene musterte die
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