Seelenflüstern (German Edition)
Chance?
Charles faltzte die Hände im Schoß und wartzte. »Sagen Sie mir, was in ihr vorgeht, Paul.«
»Ehm. Das ist schwierig«, antwortete Paul.
Charles drehte sich zu ihm herum. »Ich bitte Sie, Paul. Wie wollen Sie es denn zu etwas bringen, wenn Sie nicht einmal den Zustand einer Seelenflüsterin feststellen können?«
»Warum fragen Sie die Seelenflüsterin nicht einfach selbst? Hören Sie auf, mich als Lehrmaterial zu verwenden und nehmen Sie mich endlich ernst«, fauchte ich.
»Sie wissen gar nicht, wie ernst ich Sie nehme. Wir sind gerade dabei, einen unserer besten Wächter zu verlieren, und nun bittet eine unserer begabtesten Seelenflüsterinnen um ihre Entlassung aus dem Dienst. Ernster kann es kaum noch werden.«
Ich wandte mich an Paul. »Und wie ist mein Zustand jetzt, Paul?«
»Ehm. Ich …«
Ich stand auf und ging im Raum auf und ab. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen: Ich bin nicht bloß stinksauer, ich bin außer mir vor Wut. ›Es gibt Hoffnung bis zum Schluss.‹ So steht es doch auf dem Deckblatt des RF-Regelwerks. Oder nicht? Sie können sich gern an Ihre starren, verstaubten Vorschriften halten. Ich halte mich an das Motto: ›Es gibt Hoffnung bis zum Schluss‹!« Die Seelenflüsterer mussten sich zu mir umdrehen, weil ich hinter ihnen vorbeiging. »Weshalb sind Sie überhaupt hier, wenn Sie doch nur an Ihren Regeln kleben? Starr bis zum letzten Buchstaben? Für Sie gibt es nur richtig oder falsch, nur schwarz oder weiß, aber nichts dazwischen. Keine Grauzone, keinen Ausweg. Veranstalten Sie diese Anhörung vielleicht bloß, um Ihr Gewissen zu beruhigen? Alden soll sterben, weil er seine Pflicht getan hat. Seine Seelenflüsterin zu schützen, ist aber sein Job. Wenn er nicht getan hätte, was er getan hat, wäre ich jetzt tot. Sie sind alle Seelenflüsterer,Sie konnten Zak hören. Nur weil Alden seine Seele in Zaks Körper geschickt hat, konnte ich Zak heute helfen. Wollen Sie eine Seele stilllegen, weil sie zwei andere gerettet hat?« Ich ging zurück zu meinem Stuhl. »Bevor Alden in meinem Leben auftauchte, war ich in einer Sackgasse unterwegs. Ohne seine Hilfe hätte ich geendet wie mein Dad. Alden ist ein Mensch, der die Dinge zum Guten verändert. Er macht die Welt schöner und besser. Ihn zu töten, wäre gewissenlos und würde genau das Gegenteil von dem bewirken, was der Rat der Fürsprecher eigentlich will.«
Ich stützte mich auf die Stuhllehne und holte erst einmal Luft.
Charles faltete seine Hände auf dem Tisch. »Sie erinnern sich vielleicht nicht daran, dass Sie Rose sind, meine Liebe. Aber sie ist eindeutig hier im Raum.« Er zeigte auf Paul. »Wenn Sie bitte mit Lilian zusammen einen Moment lang draußen warten. Ich möchte mich gerne mit meinen Kollegen besprechen.«
Paul hielt mir die Tür auf. Race stand mit betont unschuldiger Miene draußen neben dem Monitor.
»Sie haben eine nicht öffentliche Sitzung eines Anhörungskomitees belauscht«, sagte Paul streng, sobald die Tür zu war.
Race zuckte mit den Schultern. »Wie kommen Sie denn darauf? So etwas ist nicht bloß verboten, es ist gefährlich. Sie und ich, wir sind beide Wächter. Also wissen Sie genau, dass wir das nie machen würden. Oder haben Sie bei der Schulung in Wilkingham nicht aufgepasst?«
Einen Moment lang starrten Race und Paul einander an. Dann grinsten sie breit.
»Wie bist du denn zu diesem seltsamen Posten gekommen?«, fragte Race Paul.
»Ich bin gerade bei Charles in Ausbildung. Das ist eine Ehre.«
Race rückte ein wenig näher an ihn heran. »Und was passiert jetzt?«
Paul zuckte mit den Schultern. »Schwer zu sagen. Für Wächter gehen solche Geschichten selten gut aus. Aber sie hat ihnen ganz schön eingeheizt.«
»Ich konnte keinen von ihnen spüren. Lilian war so aufgeregt, dass sie alle anderen Schwingungen blockiert hat«, sagte Race.
Wir hörten Schritte, die sich der Tür näherten. »Verdrück dich lieber, bevor sie rausfinden, dass du die ganze Zeit hier warst, Mann«, sagte Paul zu Race.
Race war bereits oben an der Treppe verschwunden, als Robert die Tür öffnete und mich wieder hereinrief.
Ich setzte mich noch einmal auf den Stuhl am Ende des Tisches.
Charles ordnete die Dokumente, die vor ihm lagen. »Seelenflüsterin 102. Sie fragten, ob wir Anhörungen wie diese nur durchführen, um unser Gewissen zu beruhigen. Die Antwort lautzt: nein. Wir machen das, weil gelegentlich Wunder geschehen. Manchmal muss uns jemand daran erinnern, dass es Umstände gibt, unter
Weitere Kostenlose Bücher