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Seelenflüstern (German Edition)

Seelenflüstern (German Edition)

Titel: Seelenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Lindsey
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»Und was heißt das genau?«
    »Seelenflüsterer müssen sich für die Gestrandeten einsetzen und einer bestimmten Anzahl von ihnen helfen, um einen weiteren Zyklus und damit ein weiteres Leben zugeteilt zu bekommen. Dass ein Seelenflüsterer wegen eines Verstoßes gegen diese Regel stillgelegt wurde, habe ich noch nie gehört. Das kommt wohl nur sehr selten vor.«
    Meine Finger falteten das Papier zu Quadraten. »Wie ist das mit den Wächtern? Verstoßen sie denn jemals gegen irgendwelche Regeln?«
    »Nicht allzu oft. Aber es soll vorkommen.«
    Ich stand auf. »Was passiert dann genau? Was sind die Folgen, wenn sie es vermasseln?«
    »Es gibt eine Anhörung. Und wenn der Verstoß wirklich schwerwiegend ist, wird der Wächter sofort stillgelegt.«
    Ich hielt mich an der Küchentheke fest. »Das ist Mord.«
    »Nein, Lilian. Mit Mord hat das nichts zu tun. Es wird einfach Gerechtigkeit geübt.«
    »Das klingt furchtbar, Alden. Bei so was will ich nicht mitmachen.«
    Er hielt mir das gefaltete Stück Papier hin, das ich beiseitegeschobenhatte. »Früher warst du total begeistert davon. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts hast du sogar im Regelungsausschuss gesessen. Unsere Regeln und Gesetze sind über Jahrtausende hinweg entstanden. Und so soll es auch sein.«
    »Ich bin nicht Rose.« Mit gesenktem Blick drehte ich das Papier zwischen den Fingern.
    Alden sah zu, wie ich die Kanten einschlug. »Ich weiß.«
    »Wo bleiben denn da Demokratie und Meinungsfreiheit?«
    Er beugte sich zu mir. »Wir sind kein Wellness-Klub und auch keine Pfadfindergruppe, die sich an den Händen hält und am Lagerfeuer Lieder singt. Es geht ums Überleben!«
    Ich schlug die Hände vors Gesicht. »So was ist mehrere Nummern zu groß für mich. Ich packe das nicht.«
    Alden nahm mich an den Schultern. »Lilian. Du kannst das. Sehr gut sogar. Die Gestrandeten brauchen dich. Der Rat der Fürsprecher braucht dich. Was glaubst du, was passieren würde, wenn es keine Seelenflüsterer gäbe? Ohne Hilfe würden fast alle gestrandeten Seelen zu Aggrots werden. Bald hätten wir viel mehr von ihnen als lebende Menschen, und das wäre eine Katastrophe. Der Weltuntergang.«
    Womit auf der Irrsinns-Skala ein neuer Höchststand erreicht war. Ich nahm die Hände vom Gesicht und schnappte nach Luft.
    »Bitte, Lilian. Du musst dich nicht gleich festlegen. Aber probier es wenigstens einmal aus.« Alden sah mir in die Augen und legte seine Hände ganz leicht auf meine Knie. »Hilf bei der Erlösung einer einzigen gestrandeten Seele und warte ab, wie du dich dabei fühlst.«
    Als Alden auf den Innenseiten meiner Knie mit denDaumen kleine Kreise malte, schoss ein elektrisches Kribbeln an meinen Oberschenkeln entlang bis in meinen Bauch. Der Wunsch, mich in seine Arme zu werfen und mich hemmungslos an ihn zu drücken, war bald so stark, dass ich nicht mehr still sitzen konnte. Als ich auf dem Hocker nach vorn rutschte, erstarrte er, schüttelte einmal kurz den Kopf und wich zurück. »Sorry«, flüsterte er.
    Einen Augenblick lang sahen wir einander an. Dann griff Alden mit einem schiefen Lächeln nach dem gefalteten Papier. »Ich glaube, so geht es weiter.« Durch den Knick, den er machte, entstand das Hinterbein eines Frosches.
    Ich nahm ihm die fertige Figur ab. Das Blut rauschte mir immer noch in den Ohren.
    »Du machst auch Origami?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich habe dir einige Leben lang dabei zugesehen, wie man Papierfiguren faltet.«
    Rose . Ich legte den Frosch auf die Arbeitsplatte.
    Alden ging vor mir in die Hocke. »Lilian. Bitte probier das Seeleneinen mit einem Gestrandeten nur ein einziges Mal aus. Dann wirst du alles verstehen. Du kannst wirklich etwas bewirken. Es geht um Leben und Tod, um Himmel und Hölle. Du hast es in der Hand. Diese Gabe ist nur ganz wenigen Menschen geschenkt. Mach nur eine einzige Erlösung – eine ganz einfache – dann weißt du, wovon ich rede.«
    Ich warf einen Blick auf die Uhr über der Mikrowelle. »Mom kommt gleich nach Hause.«
    »Dann eben morgen.« Er stand auf. »Kann ich dich nach der Schule abholen?«
    Lange starrte ich in seine blassen Augen. Mir war klar, dass ich gerade dabei war, eine der verrücktesten Entscheidungenmeines Lebens zu treffen. Aber irgendetwas schien dran zu sein an dieser Seelenflüsterer-Geschichte. Etwas, das stärker war als ich. Ich musste es versuchen.
    »Okay. Abgemacht.«

D   R E I Z E H N

    R egenschnüre liefen am Fenster des Klassenzimmers hinab. Miss Mueller,

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