Seelenflüstern (German Edition)
die Geschichtslehrerin, schwafelte wie immer vorn am Pult vor sich hin. Ihre Stimme war einschläfernd wie Bienengesumm. Bzzzzz.
Mir ging andauernd der gestrige Abend durch den Kopf. Wie sollte ich mich da für den Unterricht interessieren? Die Stunden im Last Concert Café mit Zak waren unglaublich schön gewesen. Jedes Mal, wenn ich daran dachte, wie wir gemeinsam auf der Bühne gesessen hatten und wie leicht es gewesen war, mit ihm zusammen zu spielen, schlug mein Herz schneller. Mit ihm fühlte ich mich so wunderbar normal.
Und dann Alden, der mir das Gefühl gab, alles andere als normal zu sein. Ich fand ihn faszinierend, aber wenn ich an die Seelenflüsterer-Geschichte dachte, bekam ich eine Gänsehaut. »Das ist eine Gabe«, hatte Alden gesagt. Ich rutschte auf dem harten Kunststoffstuhl herum, doch davon wurde er auch nicht bequemer. Die Wunde an meinem Bauch tat wieder weh, und wenn ich mich bewegte, spannten die Stiche.
Bzzz. Bzzz. Bzzzzzz.
Nur noch fünfzehn Minuten Unterricht. Aber je näher mein Treffen mit Alden rückte, desto langsamer schiender Uhrzeiger weiterzukriechen. Mit ein paar Kritzeleien auf meinem Geschichtsordner brachte ich die Zeit bis zum Klingeln irgendwie herum.
Dass alle anderen nach dem Unterricht noch eine Weile an den Schließfächern abhingen, war mir egal. Ich war neu an der Schule und gehörte noch nicht richtig dazu. Und der Vorfall in der Mädchentoilette hatte mich bei meinen Klassenkameraden auch nicht gerade beliebter gemacht. Die anderen redeten über mich, aber nicht mit mir, was sicher meine eigene Schuld war. Bislang hatte ich mich nicht wirklich bemüht, irgendwelche Freundschaften zu schließen. Mom hatte mich an dieser versnobten Privatschule angemeldet, weil meine Noten vor unserem Umzug ziemlich in den Keller gesackt waren. Sie glaubte, in einer kleineren Klasse würde ich leichter lernen.
Dabei hatten meine Probleme ganz und gar nichts mit der Klassengröße zu tun.
Ohne auf die neugierigen Blicke meiner Mitschüler zu achten, ließ ich einfach alle Schulsachen in meinem Schließfach – sogar den Rucksack. Hausaufgaben würde ich sowieso keine machen. Wozu also das ganze Zeug mitschleppen? Damit meine Handtasche trocken blieb, zog ich die Jacke darüber. Nichts wie weg und zum Ausgang. Auf dem Weg dorthin bekam ich eine SMS von Zak. Er schrieb, wie sehr ihm der gestrige Abend gefallen hätte. Ich antwortete, dass es mir genauso ginge und dass ich es gar nicht erwarten könnte, ihn wiederzusehen. Grinsend steckte ich das Telefon wieder ein. Dann wagte ich mich hinaus zur Parkbucht.
Regentage waren scheußlich. In der Einfahrt stauten sich noch mehr Autos als sonst, und alle brauchten noch mehr Zeit zum Einsteigen. Das Geprassel des Regens auf dem Aluminiumvordach übertönte die Stimmen derSchülerinnen und Schüler, die dort warteten, bis die Wagen ihrer Eltern oder Freunde möglichst nahe waren und sie hinrennen konnten.
»Hilf mir.« Die Stimme des Gruselkindes drang trotzdem zu mir durch.
Aldens grauer Audi hielt vor dem Vordach.
»Nein. Hau ab!« Ich drängte mich durch den Pulk meiner wartenden Schulkameraden. Obwohl es goss wie aus Kübeln, stieg Alden aus, ging um den Wagen herum und öffnete mir die Tür. Schon nach den paar Schritten zum Auto war ich total durchnässt. Die eisigen Regentropfen stachen wie Nadeln. Ich ließ mich auf den Beifahrersitz fallen.
Gleich darauf saß ein triefender Alden neben mir und starrte mich eine Ewigkeit lang an.
»Du wirkst ziemlich gestresst. Ist alles in Ordnung?«, fragte er.
Die einzig sichere Antwort war ein Nicken. Warum kam ich mir, wenn ich mit Alden zusammen war, immer vor wie ein Mitglied im Doofen-Klub? Ich streifte die Schuhe ab und hielt die Füße in den warmen Luftstrom des Gebläses unten im Fußraum.
Die Fahrt bis zum Freeway brachten wir in angespanntem Schweigen hinter uns. Mit jedem anderen hätte ich über irgendwelchen unwichtigen Kleinkram geredet, doch so etwas gab es in unserem Fall nicht.
Immer wieder riskierte ich einen heimlichen Blick auf Alden. Ich konnte nicht anders – er war so schön. Das nasse Haar klebte ihm an den Wangen und am Hals.
Vom Freeway bogen wir auf die West University ab. Die Äste der uralten Eichen am Straßenrand bildeten um uns einen lebenden Tunnel.
Vor einem riesigen Haus, das besser an die Ostküstenach New England als hierher nach Texas gepasst hätte, hielten wir an. Es war traumhaft. Dunkelgrüne Fensterläden umrahmten lange Reihen bodentiefer
Weitere Kostenlose Bücher