Seelenflüstern (German Edition)
Regen hatte aufgehört. Mit dem Rücken zu mir schaute Alden in den kleinen gartenartig angelegten Innenhof. Neben einem einladenden Mini-Pool plätscherte ein verspielter Brunnen. Alden hatte die Hände in die Hüften gestemmt; neben ihm saß Spook.
»Alden«, sagte ich leise. »Du musst mir Zeit lassen. Das alles ist total neu für mich.«
Er sah mich nicht an. »Es ist ziemlich schwierig, einer Führerin zu folgen, wenn die gar nicht weiß, wo es hingehen soll. Ich bin verwöhnt. Sonst war es immer ganz leicht herauszufinden, was du brauchst und dann das Richtige zu tun. Aber diesmal ist alles anders, und ich bin dir keine große Hilfe. Tut mir leid.«
»Bring mir bei, wie ich mich gegen Dämonen wehren kann. Auf noch einen Angriff von so einem Aggrot habe ich nämlich keine Lust.«
Aden sah mir forschend ins Gesicht – ganz der verantwortungsbewusste Lehrmeister.
»Das ist ein guter Anfang«, sagte er. »Du musst mir sagen, was du brauchst. So kann unsere Beziehung funktionieren. Ich bin da, um dich zu unterstützen. Aber die Macht hast du. Du kannst die Gestrandeten hören, und nur du kannst ihnen helfen. Lass uns loslegen, okay? Sprechensie jetzt gerade mit dir?« Er vergrub die Hände in den Hosentaschen.
Ich setzte mich auf die Brunneneinfassung. »Nein.«
»Lass es zu.«
»Wie?«
Er setzte sich neben mich. »Hör genau hin. Sie sind immer da und warten darauf, dass du dich mit ihnen beschäftigst. Die wirklich starken dringen meistens irgendwie durch. Wenn der Zeitpunkt gerade nicht passt, sagst du ihnen, sie sollen sich verziehen. Sie sind zwar hartnäckig, gehorchen dir aber normalerweise. Aggressive Gestrandete wie der in Kemah sind selten und machen ziemlich viel Ärger. Aber das war meine Schuld. Du hattest keine Ahnung, was alles passieren kann, und ich hätte dich nicht allein lassen dürfen.«
Ich sah ihn an. »Rede keinen Mist, Alden. Ich hatte dir gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen und verschwinden. Wie kannst du dir da die Schuld an irgendetwas geben?«
»Regeln. Die gibt es nun mal. Eindeutige, klare, ganz bestimmte Regeln. Meine Pflicht ist es, meine Seelenflüsterin mit Informationen zu versorgen, sie zu schützen und ihr zu dienen. Nur deshalb gibt es mich überhaupt. Und wenn du nicht bald loslegst, wird sich der Rat der Fürsprecher fragen, was schiefgelaufen ist.«
Er stand auf und ging am Pool auf und ab. »Ich will ja nichts sagen, aber dein kleiner hundertjähriger Urlaub hat für einigen Wirbel gesorgt. Wir haben alles getan, um die Region hier irgendwie zu versorgen. Aber weil du so lange weg warst, stapelt sich inzwischen die Arbeit.«
»Werden alle Toten zu Gestrandeten?«
»Nein. Bloß die, die sich mit ungeklärten Problemen herumschlagen. Die meisten Seelen gehen einfach ihren Weg.«
»Ungeklärte Probleme wie bei meinem Dad?«
Alden blieb stehen, sagte aber nichts. Er starrte mich nur mit seinen klaren grauen Augen an.
»Was ist, wenn mein Dad noch irgendwo dort draußen festhängt? Könnte ich dann mit ihm sprechen? Mich von ihm verabschieden? Ihn vielleicht fragen, warum …«
Alden nahm mich an den Schultern. »Er ist weg, Lilian.«
Ich spürte einen Stich in der Brust. »Aber er hat sich doch umgebracht. Er muss ungelöste Probleme haben.«
Alden schüttelte den Kopf. »Aber vielleicht nicht solche, die ihn an die Erde fesselten. Sie können in ihm selbst gelegen haben oder sich für ihn durch seinen Tod erledigt haben. Nicht alle Selbstmörder werden zu Gestrandeten.«
Bei dem Gedanken, dass ich noch mal mit Dad sprechen könnte, selbst wenn er nur ein Geist war, schlug mir das Herz bis zum Hals. »Aber was, wenn er doch einer von ihnen ist? Könnte er nicht immer noch irgendwo dort draußen sein?«
»Nur wenige Seelen halten sich so lange hier auf. Wenn er noch da wäre, hätte er Kontakt mit dir aufgenommen, Lilian. Familiäre Bindungen sind sehr stark.« Ich merkte, wie schwer es Alden fiel, mit mir darüber zu reden. Er sprach langsam und schien sich jedes Wort genau zu überlegen. »Dein Dad ist schon vor einigen Monaten gestorben. Damals warst du noch keine Seelenflüsterin. Wenn ihn irgendetwas hier auf der Erde festgehalten hätte, dann hätte er sich an einen anderen Seelenflüsterer gewendet. Aber davon wüssten wir. Ich habe das überprüft. Es sieht ganz so aus, als sei er ohne Hilfe seinen Weg zu Ende gegangen.« Er ließ meine Schultern los und warf mit einer Kopfbewegung eine Haarsträhne aus seinen Augen. »Tut mir leid, dass ich
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