Seelenflüstern (German Edition)
du einfach dasselbe, was ich gerade auch empfinde. Je älter ich werde, desto besser habe ich meine eigenen Gefühle im Griff und kann dir nur das geben, was du brauchst. Diesmal bist du ein paar Jahre früher aufgetaucht als sonst. Das habe ich dir ja schon gesagt. Und als du eben nach meiner Hand gegriffen hast, kam das ziemlich überraschend.«
Einen Moment lang starrte ich ihn ungläubig an. »Und was war das?«
»Es war … na ja … das, was ich in dem Moment eben gefühlt habe.«
»Geht das auch genauer?« Dass er mich anschwieg, machte mich nur noch neugieriger. »Du sagtest doch, ein Wächter muss seine Seelenflüsterin informieren. Du bist der Wächter, ich die Seelenflüsterin – du kannst also loslegen und mir sagen, was Sache ist.«
Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und räuspertesich. »Also gut. Deine Angst macht mich an. Wenn Seelenflüsterer sich fürchten, werden ihre Wächter ganz kribbelig. Nur deshalb lassen sie ihre Seelenflüsterer auch gefährliche Sachen durchleben. Andernfalls wäre der Beschützerinstinkt der Wächter zu stark, und wir würden damit verhindern, dass ihr eure Aufgabe erledigt. Denn gestrandeten Seelen dabei zu helfen, ihre Probleme zu lösen, ist nicht immer ganz ungefährlich.«
Mir fiel die Kinnlade herunter. »Soll das ein Witz sein! Meine Angst macht dich an?«
»Bei Schmerzen kann das auch passieren.« Zwinkernd zog er seine Hand weg.
Ich starrte ihn an. »Das ist doch total krank. Wessen Schmerzen?«
»Nicht so wichtig.« Alden machte eine Bewegung, als würde er eine lästige Fliege verscheuchen. Ich versuchte es mit dem strengsten Blick, den ich zustande brachte und kam mir dabei fast vor wie meine Mom. »Wessen Schmerzen, Alden?«
Er lehnte sich zurück und ließ die Arme über die Sofalehne baumeln. »Ich glaube, du wirst sehnsüchtig von einer gestrandeten Seele erwartet. Hattest du nicht gerade noch eine an der Angel?«
»Hilf mir bitte. Du musst mir helfen.« Das Gruselkind klang ganz verzweifelt.
»In Ordnung. Geisterstunde. Aber unsere Diskussion ist nur aufgeschoben, nicht beendet.« Ich drehte den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam. »Okay, Suzanne. Ich helfe dir jetzt.«
»Sag ihr, sie darf in die Hülle kommen«, sagte Alden.
»Du kannst rein und mir erklären, was ich für dich tun soll, Suzanne.« Ich griff wieder nach Aldens Hand. Diesmal beruhigte mich die Berührung.
Als die gestrandete Seele in meinen Körper eindrang, schrie ich auf. Daran, dass es wehtun würde, hatte ich gar nicht mehr gedacht und vergessen, mich innerlich darauf vorzubereiten. Zum Glück war das Schlimmste nach einer Sekunde vorbei. Gleichzeitig ging ein Ruck von Aldens Hand durch meinen Arm. Na großartig. Nun war die Frage beantwortet. Meine Schmerzen.
»Das Unangenehmste hast du geschafft. Gut gemacht, Lilian. Spricht sie mit dir?«
Ich nickte. Das kleine Mädchen plapperte in einem lauten schrillen Ton drauflos. Es ging um ihre Schwester, eine Katze, einen Weihnachtsbaum, um Spritzen und ums Sterben. Alles sehr verwirrend. »Sie will ihrer Schwester etwas sagen.« Hilflos sah ich Alden an. »Sie will ihr etwas geben. Verflixt, Alden. Sie redet viel zu schnell!«
»Sie ist bloß eine Seele ohne Körper, Lilian. Sag ihr, sie soll langsamer sprechen. Du hast das Kommando. Erkläre ihr, was sie machen soll.«
Das war leichter gesagt als getan. Suzannes Stimme wurde immer lauter und schneller. Auf dem Sofa hielt ich es nicht mehr aus. Ich sprang auf und presste mir die Hände auf die Ohren.
»Es geht nicht, Alden. Sie muss wieder raus.«
Er stand auf, zog mir die Hände von den Ohren und nahm mich an den Schultern. »Nein, Lilian. Hör zu. Verstehst du mich? Achte einen Moment lang nicht auf sie; konzentrier dich ganz auf das, was ich sage.« Zögernd nickte ich. Alden sprach weiter. »Du bist die Bestimmerin. Die Gestrandeten brauchen dich. Du musst die Führung übernehmen und stark sein. Okay?«
Ich nickte.
»Befiehl ihr, langsamer zu sprechen und dir zu gehorchen.«
»Suzanne. Du sprichst jetzt langsamer und erzählst mir die ganze Geschichte noch einmal von vorn. Immer schön der Reihe nach. Ich sage dir, wann du anfangen kannst.« Sie hielt tatsächlich sofort den Mund. Wow.
Aldens Griff um meine Schultern wurde fester. »Gut so, Lilian. Weiter.«
Mühsam brachte ich ein verrutschtes Lächeln zustande. Alden ließ mich los und setzte sich wieder. Ich setzte mich neben ihn und zog die Beine unter mich. Die Seele einer anderen Person
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