Seelengesaenge
zusammenzusparen. Heute konnte er es mit einem einzigen Gedanken real werden lassen. Die Vorstellung deprimierte ihn; mindestens die Hälfte der Anziehungskraft des Coupés hatte darin bestanden, wie unerschwinglich es für ihn gewesen war.
Moyo blieb noch lange hinter dem Fenster stehen und wünschte der Prozession von Möchtegern-Eroberern alles Gute. Er hatte Annette Eklund versprochen zu helfen, und tatsächlich hatte er im Verlauf der Nacht fünf Einwohner Exnalls für die Possession geöffnet. Doch jetzt, nachdem er Zeit gefunden hatte, über die vor ihm liegenden Tage nachzudenken und über die Aussichten, diese Barbarei zehnmal in jeder Stunde zu wiederholen, wußte er, daß er dazu nicht imstande sein würde. Der Knabe war ihm Beweis genug dafür. Sollte die Eklund und ihre Blitzkrieg-Armee sich darum kümmern. Er würde zu Hause bleiben und das heimische Feuer am Brennen halten. Nach dem Feldzug würden sie einen Ort benötigen, an dem sie ausruhen konnten.
Das Frühstück war … nun ja, interessant. Das Thermoinduktionspaneel in der Küche spielte verrückt, kaum daß Moyo es eingeschaltet hatte. Also starrte er auf den Apparat und erinnerte sich an den alten Herd, den seine Großmutter in ihrer Küche gehabt hatte, ein schwarzes schmiedeeisernes Monstrum mit offenen Flammen unter einem Gitterrost. Als Moyo jung gewesen war, hatte sie die köstlichsten Mahlzeiten darauf zubereitet, Essen mit einem Geschmack und einem Aroma, wie er es seither niemals wieder erlebt hatte. Das Induktionspaneel wurde schwarz, seine Umrisse dehnten sich, der gelbe Unterschrank verschmolz mit der Platte … und da stand der alte eiserne Herd, und strahlende Hitze stieg von der gußeisernen Ringplatte auf, während das Holzkohlefeuer darunter leise knackte und prasselte. Moyo grinste stolz auf sein Werk herab und setzte den Kupferkessel auf die Herdplatte. Während das Wasser anfing zu kochen, suchte er die verbliebenen Schränke nach etwas Eßbarem ab.
Er fand Dutzende kleiner Beutel, moderne, chemisch hergestellte Nahrungsmittel ohne jeden Hinweis auf der Packung, ob der Inhalt echt war. Er warf zwei der Beutel in eine schwere Eisenpfanne, wünschte die Folie hinweg, und darunter kamen rohe Eier und mehrere Scheiben geräucherter Speck (mit Schwarte, wie er es bevorzugte) zum Vorschein. Es brutzelte wunderbar vor sich hin, als der Wasserkessel anfing zu pfeifen.
Gekühlter Orangensaft, Müsliflocken, Schinken, Eier, Würstchen, Bohnen, gebutterter Weizentoast dick bestrichen mit Marmelade, heruntergespült mit mehreren Tassen englischem Tee – es war ein Frühstück, für das sich die zwei Jahrhunderte im Jenseits schon fast gelohnt hatten.
Nachdem er mit Essen fertig war, verwandelte er Eben Pavitts trostlose Arbeitskleidung in die Art von teurem hellblauem Anzug, den er bei den höheren Semestern an der Hochschule gesehen hatte, als er noch neu an der Universität gewesen war. Zufrieden öffnete er die Haustür des Bungalows und trat auf die Straße hinaus.
Auf ganz Kochi hatte es keine Stadt wie Exnall gegeben. Moyo gefiel es. Aus den Nachrichtensendungen hatte er bereits entnommen, daß die Welten des Königreiches Kulu eine noch formellere Gesellschaftsform besaßen als seine eigene japanischethnische Kultur. Und doch fehlte es Exnall an einem disziplinierten Grundriß. Moyo wanderte im Schutz der hoch aufragenden Harandriden durch breite Straßen und genoß, was er sah: kleine Läden, blitzsaubere Cafés, Konditoreien, Bars, kleine Parks, schöne Häuser und die schneeweiße, ganz aus Holz gebaute Kirche mit ihrem Dach aus hellrot gestrichenen Schindeln.
Moyo war in seiner neuen Umgebung nicht allein unterwegs. Mehrere hundert Leute hatten es vorgezogen zurückzubleiben, nachdem Annette Eklund aufgebrochen war. Die meisten von ihnen wanderten wie er selbst ziellos umher, und wie er brachten sie nicht den Mut auf, den anderen neuen Bürgern der Stadt in die Augen zu blicken. Jeder hatte Teil am gleichen Geheimnis, und jeder verspürte die gleichen Schuldgefühle: Was wir getan haben, das haben vorher andere für uns getan, damit unsere Seelen in diese Körper zurückkehren können. Die Stimmung war gedrückt, die Luft wie von Trauer erfüllt.
Die anderen Besessenen steckten in der Kleidung ihrer jeweiligen Epoche und Kultur, allesamt ganz normale Bürger. Diejenigen unter Moyos Artgenossen, die Groteskerie und mythologische Erscheinungsformen vorzogen, waren ausnahmslos mit Annette Eklund verschwunden.
Erfreut
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