Seelengesaenge
Jezzibella irgendwann einmal in einem ihrer MF-Alben getragen hatte, war dort draußen zu sehen, von den ganz einfachen bis hin zu den schrillen, bizarren.
Der Sensor blieb auf einem Pärchen in zueinander passenden Ledersachen hängen. Der Junge war neunzehn oder zwanzig, das Mädchen neben ihm ein wenig jünger. Sie hatten die Arme umeinander geschlungen und waren offensichtlich sehr verliebt. Beide waren groß, vital, blühend vor Gesundheit.
Jezzibella klinkte sich aus der Datavis-Übertragung des Sensors aus. »Diese beiden dort«, sagte sie zu Leroy Octavius. »Die gefallen mir.«
Der unangenehm übergewichtige Manager warf einen flüchtigen Blick auf die AV-Projektorsäule, die aus seinem Prozessorblock ragte, und musterte die fröhlich-vergnügten Gesichter. »Roger-doger. Ich mache mich gleich an die Arbeit.«
Da war kein Sich-winden, nicht der leiseste Anflug von Mißbilligung. Es war das, was Jezzibella so an ihm gefiel, was ihn zu einem so guten Manager machte. Er verstand, wie sie sich fühlte, was sie benötigte, um zu funktionieren. Und Jezzibella brauchte Kinder wie diese beiden dort. Sie brauchte, was diese beiden teilten, ihre Naivität, ihre Unsicherheit, ihre Lebensfreude. Jezzibella spürte nichts mehr von alledem, nichts mehr von der zuckersüßen Seite der menschlichen Natur. Die ewige Tournee hatte alles aufgezehrt, irgendwo dort draußen zwischen den Sternen, die eine, einzige Energie, die sogar ein Null-Tau-Feld überwinden konnte. Alles wurde der Tour untergeordnet, alles wurde nebensächlich, und Gefühle hatten keinen Platz, durften nicht dazwischen kommen. Und Gefühle, die man lange genug unterdrückte, verschwanden mit der Zeit – was nicht geschehen durfte, denn Jezzibella mußte Gefühle verstehen, um zu arbeiten. Ein Teufelskreis. Ihr ganzes Leben drehte sich im Kreis.
Und so machte sie sich statt mit eigenen Gefühlen mit denen von Fremden vertraut, untersuchte sie wie ein Wissenschaftler, der eine Theorie aufstellt. Sie nahm in sich auf, was sie nur konnte, den flüchtigen Geschmack, der ihr gestattete, sich wieder auf die Bühne zu stellen, für eine weitere Show Gefühle vorzutäuschen.
»Mir gefallen sie nicht«, sagte Emmerson gereizt.
Jezzibella setzte ein gequältes Lächeln auf, doch die ganze Farce ihres Verhältnisses langweilte sie inzwischen zutiefst. Sie stand splitterfasernackt in der Mitte des grünen Zimmers, während Libby Robosky, ihre persönliche Image-Beraterin, an ihren Hautschuppen arbeitete. Die BiTek-Schicht war weit mehr als eine gewöhnliche Chamäleonhaut; sie gestattete Jezzibella, die gesamte Oberflächenstruktur ihres Körpers zu verändern anstatt nur die Farbe. Für einige ihrer Nummern benötigte sie eine weiche, sensitive Haut: ein junges Mädchen, das unter den ersten Berührungen ihres Geliebten erschauerte; dann wieder brauchte sie den makellosen Anschein eines Körpers, der voller natürlicher Anmut war, ohne jede Diät und ohne anstrengendes Training (wie der des Mädchens, das sie durch den Sensor beobachtet hatte); und selbstverständlich auch der durchtrainierte Körper der Ballerina, hart, geschmeidig und muskulös – etwas, worauf die Jungs nur so flogen. Es war das Gefühl von ihr, das jeder dort draußen in der Halle erfahren wollte. Jezzibella in Fleisch und Blut.
Doch die winzigen Schuppen besaßen nur eine kurze Lebensspanne, und jede mußte einzeln unter Jezzibellas Haut angebracht werden. Libby Robosky war eine rechte Magierin, wenn es darum ging, die Schuppen mit Hilfe modifizierter nanonischer Medipacks mit Jezzibellas Gewebe zu verschmelzen.
»Du mußt sie ja schließlich nicht sehen«, sagte Jezzibella geduldig zu dem Knaben. »Ich kann das auch ganz gut alleine.«
»Ich will aber nicht die ganze Nacht allein gelassen werden! Warum darf ich eigentlich nie jemanden aus dem Publikum für mich aussuchen?«
Wie man den Reportern bereits herauszufinden gestattet hatte, war Emmerson tatsächlich erst dreizehn. Sie hatte ihn auf Borroloola aufgesammelt, als interessantes Spielzeug. Jetzt, nach zwei Monaten täglicher Wutanfälle und düsterer Stimmung war der Glanz des Neuen erschöpft. »Weil es so sein muß. Ich brauche sie aus einem ganz bestimmten Grund, das habe ich dir schon hundertmal gesagt.«
»In Ordnung. Und warum machen wir es dann nicht jetzt gleich?«
»Weil ich in einer Viertelstunde raus auf die Bühne muß, erinnerst du dich?«
»Na und?« kreischte Emmerson herausfordernd. »Laß die Show doch
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