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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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gekannt.

    Clara hatte den ganzen Tag vergeblich versucht, dieses Gefühl abzuschütteln. Doch es war ihr nicht gelungen. Schlimmer noch, Willi und seine Pläne waren dazugekommen und hatten es noch verstärkt: Willis Absicht, die Kanzlei zu verlassen, erschien ihr wie ein böses Omen, das ihr noch einmal deutlich machte, dass sich alles dem Ende zuneigte und sie nichts dagegen unternehmen konnte. Und dann kam ihr plötzlich Willis Blick in den Sinn, sein Seufzer heute Morgen, als sie - noch vollkommen ahnungslos - versucht hatte, sich zu entschuldigen.
    »Liegt es nicht immer an einem Fall?«, hatte er sie gefragt, und Clara überlegte jetzt, was er wohl damit gemeint haben mochte. Nervte sie ihre Umgebung mit ihrer Arbeit? Steigerte sie sich etwa zu tief in die Dinge hinein? Vielleicht würden andere solche Dinge wie diesen Brief einfach wegstecken, mit einem Achselzucken abtun. Ein Brief von einem Spinner eben. Als Anwältin hatte man ja oft genug mit Spinnern zu tun. Lag es an ihr? War sie zu labil, zu leicht zu beunruhigen?
    Sie warf Mick einen nachdenklichen Blick zu. Es war wohl besser, jetzt nicht mit dieser Geschichte anzufangen. Er sollte nicht den Eindruck von ihr gewinnen, sie sei zu kompliziert, zu schwierig, zu egozentrisch. Ian, ihr Exmann, hatte ihr das damals immer vorgeworfen. Du bist so anstrengend, hatte er immer gestöhnt, anfangs noch lachend. Später hatte er einfach nur die Augen verdreht und war gegangen.
    Es war ein so schöner Abend gewesen. Er sollte schön bleiben. Sie trank ihren Whiskey aus und schob Mick ihr Glas hin, als er für sich noch ein Bier bestellte. Dann lehnte sie sich wieder zurück an seine Schulter und schloss die Augen.

NEUNZEHN
    Der Donnerstag verging im Gegensatz zum Vortag wie im Flug. Clara hatte am Morgen mehrere Sammeltermine am Amtsgericht und verbrachte so den größten Teil des Vormittags entweder im Gerichtssaal, wartend auf dem Gang, oder in dem Café in der Maxburg zwischen Dutzenden anderer Anwälte, die mit müden Gesichtern in ihren Akten blätterten oder versuchten, ihren Mandanten den Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Rechtsprechung zu erläutern.
    Am Nachmittag war eine weitere Verhandlung in der verhassten Familiensache Rampertshofer gegen Rampertshofer durchzustehen. Hier hatte Clara inzwischen gegen beide Parteien eine so umfassende Antipathie entwickelt, dass es ihr schon fast egal war, wer gewann. Dem Richter erging es dabei nicht anders, ebenso dem gegnerischen Kollegen, der seinem Gift und Galle spuckenden Mandanten immer wieder erschöpft die Hand auf den Arm legte, in einem ebenso hilflosen wie nutzlosen Versuch, ihn zur Contenance zu bringen. Claras Mandantin wechselte in ihrer Stimmungslage zwischen bitterlichem Weinen und hasserfülltem Gekeife, und so überhäuften sich die beiden über eine Stunde gegenseitig mit Vorwürfen, während vor dem Gerichtssaal die beiden Kinder zusammen mit einer Mitarbeiterin des Jugendamtes auf ihre richterliche Vernehmung warteten.
    Irgendwann machte der Richter einen energischen Vergleichsvorschlag, der Clara mehr als annehmbar schien, und
sie bat um eine Unterbrechung der Verhandlung, um mit ihrer Mandantin unter vier Augen zu sprechen. Doch sie hatte vergeblich gehofft, diesen Fall damit zu einem Abschluss bringen zu können. Als Clara das Wort »nachgeben« fallen ließ, sprang Frau Rampertshofer vor Empörung fast an die Decke, und Claras Versuch, ihr die Vorzüge einer schnellen Verfahrensbeendigung nahezubringen, brachte ihr nur giftige Blicke ein.
    »Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?«, fauchte Frau Rampertshofer sie an. »Sie stecken doch mit diesem widerlichen Saukerl unter einer Decke.«
    Clara erwiderte ihren Blick ungerührt. »Im Augenblick stehe ich auf Seiten Ihrer Kinder«, erwiderte sie kühl.
    Frau Rampertshofer schnappte nach Luft und kreischte: »Wollen Sie mir etwa vorwerfen, ich würde mich nicht um meine Kinder sorgen? Hat er Sie schon so weit gebracht? Dieser gottverdammte Mistkerl, der nie auch nur einen Finger gerührt hat die ganzen Jahre und sich jetzt als Übervater aufspielt.«
    Clara wandte sich ab und warf einen Blick auf den Jungen und das Mädchen, die nur wenige Schritte entfernt auf der Bank saßen und so verbissen auf den Boden starrten, als hofften sie, er würde sich auftun und sie verschlingen. Man sah ihnen an, dass sie sich am liebsten die Ohren zugehalten hätten.
    »Gehen wir also wieder hinein«, seufzte sie und öffnete die Tür zum

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