Seelenglanz
würde kaum einer der Bewohnerzurückkehren, falls doch, dann nur für eine schnelle Dusche und um sich umzuziehen, bevor sie sich ins Nachtleben stürzten.
Im Laufe des Nachmittags hatte es heftig gegossen, der Parkplatz war dunkel vom Regen und voller Pfützen. Der nasse Asphalt dampfte unter der unverminderten Hitze von mehr als dreißig Grad, und die Luft war so feucht, dass ich die Nässe auf der Haut spürte.
Trotz der schwülen Hitze rannte ich.
Das schattige Treppenhaus minderte das tropische Klima keineswegs. Wenn überhaupt war es hier noch stickiger als im Freien. Die Steinstufen flogen nur so an mir vorüber, die letzten drei überwand ich mit einem Sprung und hielt auf die Tür zu, die auf den Parkplatz führte. Sobald ich im Freien war, traf mich die Hitze mit voller Wucht.
Ich war das gemäßigte Klima von Seattle gewohnt, diese tropische Hitze war mir fremd. Es war, als würde ich gegen eine Wand aus Hitze und Feuchtigkeit laufen. Die Sonne stach so unerbittlich vom Himmel, dass es einem glatt die Flügel ansengen konnte.
Die Tür zum Treppenhaus lag noch keine zwei Meter hinter mir, als Luzifer vom Parkplatz aus auf mich zuschlenderte. Abrupt blieb ich stehen. Der Herr der Gefallenen trug beige Cargoshorts, ein enges grünes T-Shirt und Flipflops. In seinem Auftreten unterschied er sich nicht von den anderen Touristen, die sich in der Stadt aufhielten, bis auf den kleinen Unterschied, dass er – im Gegensatz zum Durchschnittsurlauber – für Menschen unsichtbar war. Mit einem raschen Blick überzeugte ich mich davon, dass mich niemand beobachtete, dann wechselte ich ebenfalls auf eine andere Ebene, wo ich mich unbemerkt mit ihm unterhalten konnte. Luzifers Blick glitt über die Palmen, die die Anlage säumten, über den vor Hitze dampfenden Parkplatz. Er atmetetief ein. »Orlando!«, rief er begeistert. »Eine gute Wahl. Ich liebe das Klima hier!«
Ich war noch immer so schockiert von seinem Auftauchen, dass ich keinen Ton hervorbrachte. Luzifer lachte. »Ich bitte dich! Hast du allen Ernstes geglaubt, ich sei nicht imstande, jeden meiner Leute rund um die Uhr an allen Orten der Welt aufzuspüren? Ich bin der verdammte Morgenstern!«
Ich schob meine Überraschung beiseite und verschanzte mich hinter einer Maske der Gleichgültigkeit. Je ruhiger ich blieb, desto weniger käme er auf die Idee, sein Auftauchen könnte ein Problem für mich sein. Sobald er fort war, würde ich Jules schnappen und sie woanders hinbringen. Schon wieder.
»Du wolltest mich sprechen, Morgenstern«, sagte ich. »Hast du es dir anders überlegt? Kann ich mit meinem Auftrag weitermachen? Oder willst du mir Shandraziel auf den Hals hetzen?«
Luzifer schüttelte den Kopf. Ein feiner Streifen Sonnenlicht fing sich in seinen blonden Locken und verwandelte sie in flüssiges Gold. Kein Wunder, dass es ihm hier so gut gefiel – er sah aus, als würde er hierhergehören. »Weder – noch. Die Sache mit Shandraziel musst du selbst regeln. Ich werde ihn nicht zurückpfeifen und ich werde ihm nicht sagen, wo du bist.«
»Warum?« Was sollte diese Scheiße?
»Eure Rivalität dauert schon viel zu lange an«, fuhr Luzifer fort. »Es ist an der Zeit, dass ihr das zu einem Ende bringt.«
Und augenscheinlich war es ihm gleichgültig, wie dieses Ende aussah. Ich machte mir nichts vor, sein Raushalten hatte nicht das Geringste mit Fairness zu tun. Es war ihm schlicht und ergreifend gleichgültig, wer von uns als Sieger –und damit als Überlebender – aus dieser Auseinandersetzung hervorging, solange unser Streit nur ein Ende fand.
»Deine persönlichen Zwistigkeiten mit anderen Gefallenen interessieren mich nicht«, sagte er dann. »Ich will nur eines wissen: Wann wirst du endlich deine Arbeit als Seelenfänger wieder aufnehmen?«
»Du hast mir doch selbst ein paar Tage Zeit gegeben, um über alles nachzudenken.«
Luzifer nickte. »Aber jetzt ist meine Geduld am Ende. Du warst immer der Beste auf deinem Gebiet, Kyriel. Und du bist mein Freund.«
Ich sagte nichts.
»Du bist immer noch wütend.« Luzifer lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, verschränkte die Arme vor der Brust und winkelte ein Bein so weit an, dass er den Fuß gegen die Wand stemmen konnte. »Wahrscheinlich war es nicht in Ordnung, dass Shandraziel in deinem Revier gewildert hat, und womöglich hätte ich auch nicht zulassen sollen, dass er die Schutzengel angreift, solange du noch versucht hast, sie zu unterwandern.«
Aber vielleicht war es genau das
Weitere Kostenlose Bücher