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Seelenglanz

Seelenglanz

Titel: Seelenglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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Schichten ihres Gedächtnisses, jenem Teil, in dem sich die Erinnerungen an Erlebnisse der jüngsten Zeit befinden sollten. Bilder zogen in rascher Abfolge an mir vorüber, begleitet von Verzweiflung und Angst. An einer Stelle sah ich, wie Amber zum Kühlschrank ging, eine Flasche Soda herausholte, sie aber wieder zurückstellte und mit einer Flasche Wodka auf der Couch landete. Sie hatte gerade das erste Glas getrunken, ihr Geist war bereits leicht benebelt, und sie ergab sich erleichtert dem Zustand, in dem sie sich selbst nicht mehr mit aller Klarheit wahrzunehmen brauchte, als Shandraziel in ihrem Wohnzimmer erschien.
    Dass Amber sein plötzliches Auftauchen, ohne mit derWimper zu zucken, zur Kenntnis nahm, war entweder dem Schnaps geschuldet oder ihrer erbarmungswürdigen psychischen Verfassung. Sie betrachtete Shandraziel ohne jede Regung. »Bist du gekommen, um mich zu holen?«
    Shandraziel lachte und strich sich mit der Hand über sein langes schwarzes Haar, als versuchte er Eindruck auf sie zu machen. »Ich bin nicht der Tod, falls du das meinst«, sagte er. »Aber Gevatter Tod ist nah. Spürst du, wie du jeden Tag schwächer wirst?«
    Amber nickte. Ihre Hände zitterten. Sie glaubte ihm jedes Wort, dabei musste sie doch spüren, dass ihr Körper einwandfrei funktionierte. Selbst ich als Außenstehender bemerkte das. Aber Amber war so sehr von dem Gedanken besessen, kein Mensch mehr zu sein, dass sie sich von Shandraziels Worten einwickeln ließ.
    »Bald wirst du Schmerzen bekommen«, fuhr Shandraziel fort. »Du wirst spüren, wie sich die Klinge in deinen Leib bohrt – immer wieder wirst du deinen eigenen Tod durchleben und die Schwäche, die du damals empfunden hast, als das Leben aus deinem Leib floss.«
    Er war wirklich gut.
    »Du lebst von geliehener Zeit«, erklärte er weiter. »Eigentlich bist du längst tot, das haben sie dir wohl nicht gesagt, was?«
    Ich spürte Ambers wachsendes Entsetzen, konnte fühlen, wie sich ihre Kehle zuschnürte und sich ihre Finger fester um das Glas schlossen, bis ihre Gelenke schmerzten.
    »Dir läuft die Zeit davon. Nicht mehr lange und der Tod hat dich eingeholt, doch dieses Mal wird es nicht so angenehm wie beim ersten Mal.«
    Nichts in Ambers Erinnerungen deutete darauf hin, dass das erste Mal auch nur annähernd angenehm gewesen wäre. An der Stelle, an der Ambers Leben geendet hatte, befandsich in ihrer Erinnerung nur ein glühend rotes Inferno aus Schmerz und Verzweiflung. So undurchdringlich, dass es mir nicht gelingen wollte, zu jenem Moment vorzudringen.
    »Ich kann dir einen Ausweg anbieten«, setzte Shandraziel seine Scharade fort. »Ich kann dafür sorgen, dass alles wieder normal wird und du vergessen kannst, was passiert ist.«
    Damit hatte er Amber am Haken. Er bot ihr das an, was sie sich am sehnlichsten wünschte. Wie könnte sie sich nicht darauf einlassen wollen oder auch nur auf den Gedanken kommen, dass er log?
    Nur zwei oder drei Tage nachdem ich Luzifer davon überzeugt hatte, seine Finger von Amber zu lassen, um meinen Auftrag nicht zu gefährden, hatte sie ihre Seele an Shandraziel verkauft. Ein Geschäft auf Zeit, wie er ihr versichert hatte. Amber hatte die Lüge nicht erkannt, und kaum war der Pakt geschlossen und besiegelt, versuchte er die Kontrolle zu übernehmen. Ich konnte ihn in ihrem Geist spüren, konnte fühlen, wie er nach ihrer Seele griff – und wie überrascht er war, als es ihm nicht gelang.
    »Du bist tatsächlich noch am Leben«, entfuhr es ihm überrascht.
    Im nächsten Atemzug bereitete er diesem Zustand ein Ende.
    Ein paar Minuten später lenkte er die kürzlich verblichene Amber zum Telefon und brachte sie dazu, die Nummer von Rachels Handy zu wählen. Kein Wort, das ihren Mund verließ, und kein Gedanke in ihrem Kopf gehörten ihr selbst. Alles, wovon ich jetzt Zeuge wurde, war allein Shandraziels Werk.
    »Können wir reden?«, fragte sie, sobald Rachel sich meldete.
    »Ich bin bei Ash, aber ich kann in einer Stunde bei dir sein.«
    Bei der Erwähnung des Schutzengels ging ein kurzer Ruck durch Amber, als erinnerte sich ihr toter Körper daran, welche Bedeutung er für Rachel hatte und wie sehr sie selbst sich die bedingungslose Liebe wünschte, die ihre Freundin in dem Engel gefunden hatte.
    »Ich bin in der Stadt. Gib mir die Adresse, dann komme ich vorbei.«
    Im Hintergrund hörte ich Rachel mit Akashiel sprechen. Sobald er sein Einverständnis gegeben hatte, gab sie Amber die Adresse durch. Keine halbe Stunde

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