Seelenglanz
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»Wie lange wird es dauern, bis es dir besser geht?« Vor ihnen zweigte eine weitere Ausfahrt ab, die auf die State Road 535 führte. Wenn sie die Karte noch richtig im Kopf hatte, mit der sie Kyriel zu Ambers Motel gelotst hatte, führte diese Straße direkt nach Kissimmee. Jules wechselte die Spur, nahm die Ausfahrt und folgte der Beschilderung in Richtung Westen. Erleichtert, die verstopfte Interstate hinter sich zu lassen, warf sie einen Blick zu Kyriel. Er hatte den Kopf zurückgelegt und die Augen geschlossen. Trotzdem musste sie eine Antwort haben. Sie musste wissen, womit sie rechnen und worauf sie sich gefasst machen sollte. »Wie lange, Kyriel?«
»Länger, als wenn mich eine menschliche Waffe getroffenhätte.« Träge öffnete er die Lider und sah sie an. »Du musst dir wirklich keine Sorgen machen.«
Obwohl der Verkehr hier deutlich dünner war als auf der Interstate, konnte es Jules nicht schnell genug gehen. Als sie schließlich das Motel erreichten, half sie ihm aus dem Wagen, über den Parkplatz und die Treppen hinauf. Kaum in seinem Zimmer angekommen brach er auf dem Bett zusammen.
Jules zog ihm die Schuhe aus. »Ich fahre schnell zum Supermarkt und hole Verbandszeug. Hältst du so lange durch?«
Sie wandte sich zum Gehen, als er nach ihrer Hand griff. »Das ist nicht nötig, Jules.«
»Die Wunde muss versorgt werden!«
Sein Griff um ihr Handgelenk wurde fester. Sie ließ sich von ihm zum Bett zurückziehen und ging daneben in die Hocke. Seine Stimme klang kraftlos und schleppend. »Ich weiß, wie das für dich aussehen muss, aber ich schwöre dir, dass ich nicht kurz davor bin, den Löffel abzugeben. Mein Körper schaltet auf Notversorgung um, das ist der Grund, warum ich kaum noch die Augen offen halten kann. Aber das bedeutet, dass ich heile.«
»Aber jemand muss doch die Wunde …« Für ihn mochte das ein vollkommen natürlicher Vorgang sein, den er im Laufe der Jahrtausende vermutlich unzählige Male durchlaufen hatte. Ihr jedoch fiel es schwer, ihn in diesem Zustand zu sehen und dabei keine Angst zu bekommen.
»Ich bin kein normaler Mensch, Jules. Alles, was ich brauche, ist Schlaf und danach eine Dusche und frische Klamotten.« Er gab ihr Handgelenk frei und hob die Hand, um ihr über die Wange zu streichen. »Setz dich vor den Fernseher oder schlaf ein wenig, aber mach dir keine Sorgen um mich. Versprichst du mir das?«
»Ich weiß nicht, ob ich das versprechen kann.« Kyriel setzte zum Widerspruch an, als sie hinzufügte: »Was, wenn nichts Interessantes im Fernsehen läuft?«
Lächelnd schloss er die Augen.
Jules setzte sich nicht vor den Fernseher. Sie zog sich einen Stuhl heran und wachte über seinen Schlaf. Immer wieder tastete sie nach seinem Puls, um sich davon zu überzeugen, dass Kyriel tatsächlich nur schlief. Sein Herzschlag war beruhigend stark und regelmäßig. Trotzdem verspürte sie den Drang, sich um seine Verletzung zu kümmern oder sich zumindest mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass die Wunde tatsächlich heilte. Selbstheilungskräfte kannte sie nur aus dem Fernsehen, meistens waren es Vampire, bei denen sich Stich- oder Schusswunden in Sekundenschnelle vor den Augen des Zuschauers schlossen. Bei einem Engel oder einem Gefallenen – allmählich wusste sie selbst nicht mehr, was er nun eigentlich war – schien es ähnlich zu funktionieren, wenn auch nicht ganz so schnell.
Ein wenig zögernd schob sie Kyriels blutgetränktes T-Shirt nach oben. Der Stoff klebte an seiner Haut und löste sich mit einem leisen Ritsch. Sie sollte die Finger von ihm lassen, um seine Heilung nicht zu stören, doch sie wusste, dass sie keine Ruhe finden würde, bevor sie sich nicht mit eigenen Augen davon überzeugt hatte, dass er wirklich keine Hilfe brauchte.
Seine Seite war mit dunklem, getrocknetem Blut verkrustet. Sie holte einen nassen Waschlappen und machte sich vorsichtig daran, es abzuwischen. Nach und nach kam immer mehr Haut darunter zum Vorschein, die sich straff über seinen durchtrainierten Oberkörper spannte. Dort, wo die Stichwunde hätte sein müssen, war nichts zu sehen. Die Haut war rosig und ein wenig wulstig wie frisches Narbengewebe. Noch während sie die Stelle betrachtete, glaubte siezu sehen, wie sich die Wülste langsam zurückbildeten und die Haut glatter wurde. Erleichtert zog sie das Shirt wieder zurecht und ging ins Bad, um den Waschlappen auszuspülen.
Obwohl sie jetzt sicher war, dass wirklich alles gut werden würde, kehrte
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