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Seelenglanz

Seelenglanz

Titel: Seelenglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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zum Helden aufzuschwingen, bezweifelte ich, dass ich auf diese Weise meinen Wunsch auf Versetzung nach Oben durchdrücken konnte. Wer lässt schon freiwillig seinen besten Mitarbeiter ziehen? Ich musste definitiv einen anderen Weg finden – und ich hatte ihn bereits eingeschlagen.
    »Es würde sie nur misstrauisch stimmen, wenn ich plötzlich zum Mitarbeiter des Monats mutiere. Außerdem hätten sie dann keinen Grund mehr, mich rauszuwerfen.«
    Ich säße unwiderruflich fest.
    »Dann lass dir etwas einfallen. Und zwar bald.« Er legte mir eine Hand auf die Schulter und sah mir in die Augen.»Du bist mein Freund, Kyriel. Vermutlich der beste, den ich je hatte und je haben werde. Es würde mich schmerzen, wenn ich dich abschreiben müsste.«
    Seine letzten Worte waren kaum verklungen, da war Luzifer auch schon verschwunden und mit ihm Shandraziel. Zurück blieb nur das Echo von Ungeduld, das mich daran erinnerte, wie mir die Zeit zwischen den Fingern zerrann.

3
    Letzte Mahnung , prangte in dicken schwarzen Lettern auf dem Kuvert der Elektrizitätswerke. Jules MacNamara packte den Umschlag, stopfte ihn ungeöffnet in ihre Jackentasche und warf die verbeulte Briefkastentür zu. Wenn sie Glück hatte, blieb ihr noch eine Woche, um das Geld aufzutreiben. Andernfalls würden sie ihnen den Strom abdrehen. Mal wieder.
    Fluchend ließ sie die Briefkästen im Eingangsbereich des heruntergekommenen Mietshauses hinter sich, lief die Treppe in den vierten Stock hoch und bog in den Gang, an dessen Ende ihre Wohnung lag. Sie störte sich schon lange nicht mehr an den zerbrochenen Glühbirnen, meistens war sie viel zu müde, wenn sie nach Hause kam, um sie überhaupt zu bemerken. Auf diese Weise blieb ihr zumindest der Anblick der abblätternden Wandfarbe erspart.
    Mit schnellen Schritten eilte sie an den Türen der Nachbarwohnungen vorbei. Musik und die Fetzen von lautstark geführten Gesprächen und Streitereien erfüllten den Gang.
    Bei jeder Bewegung stieg der Geruch von Bratfett aus ihrer Kleidung auf und weckte in Jules den Drang, sich die Klamotten herunterzureißen und sich den Gestank von Fettund Gegrilltem von der Haut zu schrubben. Es war später Nachmittag, ihre Schicht in Joeys Grill war vorbei, und ihr blieb gerade noch Zeit, um zu duschen und etwas zu essen, ehe sie wieder losmusste.
    Mein Gott, wie sie diesen Gestank hasste, der sich in jede Pore fraß und sich in ihrer Nase festsetzte!
    Noch mehr jedoch hasste sie ihr Leben.
    Sie war zweiundzwanzig Jahre alt, das Leben mit all seinen Freuden sollte noch vor ihr liegen, die meiste Zeit jedoch hatte sie das Gefühl, dass es längst vorbei war und ihr einziger Daseinszweck darin bestand, dafür zu sorgen, dass ihre Mutter und sie nicht verhungerten und dass sie ein Dach über dem Kopf hatten.
    Jules sperrte die Tür auf und betrat die Wohnung. Schon auf der Schwelle schlug ihr die abgestandene Luft entgegen, die selbst den an ihr haftenden Küchengeruch durchdrang. Sie schob die Kapuze zurück, streifte die Sweatjacke ab und warf sie, gefolgt von ihrer Strickmütze, auf die schäbige Kommode im Flur.
    Die Wohnung war ein Loch voller abgenutzter, zusammengewürfelter Möbel, zerschlissener Teppiche und fadenscheiniger Gardinen. Unter der Decke und an den Wänden entlang verliefen zum Teil frei liegende Wasser- und Heizungsrohre, deren Gluckern und Gurgeln Tag und Nacht zu hören war. Das war Jules nur recht, solange es den Lärm aus den Nachbarwohnungen halbwegs übertönte.
    Sie fuhr sich mit den Fingern durch das halblange, schwarze Haar, das von Mütze und Kapuze platt gedrückt war, und machte einen Abstecher in die Küche, um das Fenster aufzureißen und frische Luft hereinzulassen, ehe sie in den Flur zurückkehrte.
    Vor der Wohnzimmertür hielt sie inne und atmete einmal tief durch, bevor sie sie öffnete. Hier war die Luft nochschlimmer. Es stank derartig nach Alkohol, dass Jules nicht mehr gewagt hätte, hier ein Streichholz anzuzünden. Ihre Mutter lag auf der Couch, eine halb volle Wodkaflasche im Arm, eine leere lag auf dem Boden neben der Couch und auf dem Tisch … Verflucht, der ganze Tisch war voller Flaschen!
    »Mom, ich bin da!«
    Die einzige Reaktion ihrer Mutter bestand in einem unverständlichen Lallen. Sie versuchte nicht einmal, die Augen zu öffnen. Vermutlich hätte sie es gar nicht mehr geschafft. Jules ging zu ihr, nahm ihr die Flasche aus der Hand und stellte sie zu den anderen auf den Tisch. Dann riss sie das Fenster auf und sog die frische

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