Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenglanz

Seelenglanz

Titel: Seelenglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
Vom Netzwerk:
Schwelle blieb sie stehen. »Habe ich es mir doch gedacht!«
    Trotz des geöffneten Fensters lag der Alkoholdunst noch immer greifbar in der Luft.
    »Hast du Besuch, Julie?«, lallte ihre Mutter von der Couch.
    »Nur Mrs Trepcyk, Mom.« Jules schob sich an ihrer Vermieterin vorbei und zog die Tür wieder zu. »Zwei Wochen. Bitte.«
    »Du warst schon ein paarmal zu oft in Verzug«, erwiderte die Frau. »Noch heute Abend oder ihr fliegt raus.«
    Jules wusste, dass das keine leere Drohung war. Mrs Trepcyk hatte schon Leute wegen weniger als einer verspäteten Mietzahlung rausgeworfen. Das durfte auf keinen Fall passieren! Abgesehen davon, dass sie kaum eine Wohnung mit einer ähnlich niedrigen Miete finden würden, konnte sie neben dem Job und der Schule einen Umzug unmöglich stemmen.
    Es gab nur eine Möglichkeit.
    »Ich bin gleich wieder da.« Jules wartete nicht auf eine Antwort. Sie ging an Mrs Trepcyk vorbei in ihr Zimmer. Im Gegensatz zum Rest der Wohnung war die Luft hier frisch und kühl, was daran lag, dass sie das Fenster immer einen Spalt offen stehen ließ, wenn sie das Haus verließ.
    Sofort waren die beiden Ratten hellwach, die sie in einem Käfig auf ihrer Kommode hielt. Dr. Jekyll, eine ehemalige Laborratte, und Mr Hyde, den sie einem Arbeitskollegen abgenommen hatte, dessen neue Freundin sich nicht mit einer Ratte im Haus hatte anfreunden wollen, kletterten hastig an der Käfigwand hoch, um Jules auf sich aufmerksam zu machen.
    »Wenn das so weitergeht, müsst ihr euch auch noch einen Job suchen«, sagte sie in Richtung der beiden Ratten und ging zu ihrem Bett.
    Dr. Jekyll, der Kleinere der beiden, eine Schönheit mit glänzend weißem Fell, gab ein protestierendes Fiepen von sich, kletterte an Mr Hyde vorbei, der seinen hellen Bauch gegen die Gitterstäbe drückte, und kippte dann hintenüber ins Stroh. Die beiden benahmen sich schon seit ein paar Tagen seltsam. Es schien, als hätten sie jegliches Geschick schlagartig verloren. Kletterpartien, die sie bis vor Kurzem noch mit links geschafft hatten, wurden zu immer größeren Hindernissen. Einmal hatte sie Hyde beobachtet, wie er mit dem Kopf voraus in den Fressnapf gefallen war. Sie hatte im Internet nach Krankheiten gesucht – für einen Tierarzt fehlte ihr das Geld –, aber nichts gefunden, was auf das Verhalten ihrer Ratten zutreffen könnte. Übermorgen hatte sie vor ihrer Schicht einen Termin bei einem Züchter, vielleicht konnte der ihr weiterhelfen.
    Jules hob die Matratze an. Das Bett, das wie die meisten ihrer Möbel vom Sperrmüll stammte und besser dortgeblieben wäre, ächzte unter der veränderten Last. Sie zog denzerknitterten Umschlag hervor, in dem sie ihr Schulgeld aufbewahrte, und ließ die Matratze wieder an ihren Platz fallen. Mit dem Geld in der Hand kehrte sie zu Mrs Trepcyk auf den Gang zurück und gab es ihr.
    Mrs Trepcyk schob die Scheine in die Hosentasche ihres Hausanzugs und ging zur Tür. Auf der Schwelle blieb sie noch einmal stehen und sagte: »Deine Alte sollte endlich einen Entzug machen.« Dann zog sie die Tür hinter sich zu und ließ Jules mit ihren Problemen allein.
    In ein paar Tagen war das Schulgeld fällig. Auch von der Schule hatte sie bereits mehrere Mahnungen kassiert, inklusive der Androhung, sie beim nächsten Zahlungsverzug endgültig vom Unterricht auszuschließen. Sie musste das Geld auftreiben – egal wie. Wenn sie sie rauswarfen, konnte sie jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft begraben.

4
    Den Tag nach meinem Zusammentreffen mit Luzifer verbrachte ich auf der Couch. Ich hatte mehrmals versucht Akashiel zu erreichen, weil ich in Erfahrung bringen wollte, wie es mit mir weitergehen würde, doch er steckte mitten in der Arbeit und hatte mich jedes Mal abgewimmelt. Vermutlich stand ihm auch gar nicht der Sinn danach, mit mir zu diskutieren. Erst am Mittag des nächsten Tages nahm er Kontakt mit mir auf und bat mich, ihn zu treffen.
    Als ich seiner Signatur folgte und mich an unseren Treffpunkt versetzte, fand ich mich in einem lang gezogenen Hinterhof wieder, der so eng war, dass das Tageslicht kaum den Boden erreichte. An den Rückwänden der Häuser stapelten sich im Halbdunkel Paletten und leere Kartons zwischenüberquellenden Müllcontainern. Es roch genauso, wie es aussah: nach Dreck. Der letzte Regen hatte große Pfützen auf dem unebenen Asphalt hinterlassen, und die Feuchtigkeit schien den Gestank des Mülls nur noch zu verstärken. Am liebsten hätte ich mich sofort wieder vom Acker

Weitere Kostenlose Bücher