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Seelenglanz

Seelenglanz

Titel: Seelenglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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definitiv nicht durch die Tür verlassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er die Tür zum Betreten benutzt hatte, tendierte wohl gegen null. Scheiße, der Typ war einfach vor ihren Augen verschwunden!
    Ganz wie … ganz wie Shawn Raziel.
    Die Ereignisse hatten sich so überstürzt, dass sie noch nicht einmal Gelegenheit gehabt hatte, sich eine Meinung über ihn zu bilden. Anfangs hatte sie gedacht, er sei lediglich ein Verrückter und sie könne ihn loswerden, wenn sie sich auf sein Spiel einließ. Inzwischen war sie sich da nicht mehr so sicher. Aber wenn er kein durchgeknallter Spinner war, was war er dann? Der Teufel selbst? Und was war der Kerl, der sie verfolgte? Gab es am Ende mehr als nur einen Teufel?
    Sie würde keine Ruhe finden, solange sie nicht zumindest ein paar Antworten bekommen hatte. Also konnte sie es ebenso gut hinter sich bringen. Wenn der Kerl auf dem Dach ebenfalls ein Teufel war, konnte sie den Pakt vielleicht mit ihm schließen.
    Vielleicht war ja doch noch nicht alles verloren.
    Hastig streifte sie den Pyjama ab, schlüpfte in ihre Cargohose,zog sich einen dunkelblauen Kapuzensweater über und stieg in ihre Armyboots. Da sie nicht wusste, was sie erwartete, schnappte sie sich den Baseballschläger, der neben ihrem Schreibtisch am Schrank lehnte, und verließ ihr Zimmer.
    Aus dem Schlafzimmer ihrer Mutter war ein Rumoren zu hören, Glas rollte über Parkett, gefolgt von einem gedämpften und schwer verständlichen Fluch. Jules hätte schwören können, dass ihre Mutter wieder einmal eine Flasche bei sich hatte. Mindestens eine. Wahrscheinlich war sie, wie so oft, eingeschlafen und die Flasche war ihr entglitten. Sobald Jules vom Dach kam, würde sie bei ihrer Mutter nach dem Rechten sehen. Im Augenblick jedoch fühlte sie sich dem nicht gewachsen.
    Mit dem Baseballschläger in der Hand betrat sie die Küche, öffnete das Fenster und kletterte auf die Feuerleiter hinaus. Von ihrer Wohnung aus waren es nur noch zwei Etagen bis zum Dach. Sie musste sich den Schläger unter den Arm klemmen, um das Geländer vernünftig fassen zu können. Das Metall fühlte sich kalt unter ihren Händen an, als sie die Finger darum schloss, und die Konstruktion wankte und knarrte bei jedem Schritt. Manchmal, wenn sie ihre Ruhe haben und nachdenken wollte, zog sie sich auf das Dach zurück, wo die Geräusche der Stadt nur gedämpft an ihr Ohr drangen und alle Sorgen so klein wurden wie die Menschen, die sechs Stockwerke unter ihr durch die Straßen liefen. Dann wusste sie genau, was sie oben erwartete: Ruhe und Frieden.
    Heute hingegen konnte alles passieren.
    Oben angekommen kletterte sie über die hüfthohe gemauerte Umrandung auf das Dach. Der Wind fühlte sich hier viel kälter an, traf ihre Wangen wie Nadelstiche und ließ sie frösteln. Eine Böe fegte über das Dach, erfasste Julesund brachte sie ins Wanken. Hastig streckte sie die Arme aus, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und machte vorsichtshalber einen Schritt von der Dachkante weg.
    Wo war er?
    Den Baseballschläger wieder fest in der Hand umrundete sie eine Reihe von Dachaufbauten und bahnte sich ihren Weg an Lüftungsauslässen und dem Zugang zum Treppenhaus vorbei, der wie ein gemauerter Kasten vor ihr emporragte. Dann sah sie ihn. Er stand am anderen Ende des Daches auf der Umrandung und blickte hinunter. Der Wind zerrte an seiner Kleidung und zerzauste sein Haar. Mein Gott, war er verrückt? Wenn er das Gleichgewicht verlor!
    Im Gegensatz zu Jules schien er jedoch keine Angst zu haben. Statt von der Dachumrandung zu steigen, schob er sich noch ein Stück weiter nach vorne.
    Er würde doch nicht …
    »Mach keinen Blödsinn!«
    Ihre Worte kamen zu spät. Noch bevor die letzte Silbe verhallt war, lehnte er sich in den Wind und ließ sich fallen.
    »Nein!«
    Jules rannte auf die Dachkante zu, als ein Rauschen die tödliche Stille durchschnitt, die sich nach ihrem Schrei über dem Dach ausgebreitet hatte. Einen Atemzug später schoss ein schwarz geflügeltes Wesen vor ihr in die Luft, glitt ihr mit ausgebreiteten Schwingen entgegen und landete sicher vor ihr auf dem Dach.
    Erschrocken nach Luft schnappend, machte sie drei Schritte zurück. Ihr Fuß blieb an einem der Lüftungsauslässe hängen, sie geriet ins Stolpern und fiel auf den Hintern. Von hier unten sah die Kreatur – das Wesen – noch größer und beeindruckender aus. Dann sah sie in sein Gesicht und ihr Herzschlag setzte für einen Moment aus. Es war der Kerl, der sich vor ihren Augen

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